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Sprechen wir vom Tod 

19. Mai 2020, Jürg Messmer

Das Totenhemd steht zur Diskussion. Das wird gewungenermaßen etwas virtuell und das mögen nicht alle. Wir haben ja meist - Gott sei Dank - Besseres zu tun, oder Vergnüglicheres - Handfestes. Doch das ist Ansichtssache. Ich zum Beispiel rauche ja gerne eine Zigarette und probiere, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Eine meiner Meinung nach unterschätzte Kunst.

Viele reden lieber über Vorsichtsmassnahmen, wie der Tod denn zu vermeiden sei, vor allem der Unerwünschte, der Unerwartete, oder den, den man nicht gut organisieren kann, der nicht in unseren Terminkalender passt. Wir sind uns gewohnt zu planen, und lassen uns nicht gerne einen Strich durch die Rechnung machen. Manchmal kommt es mir so vor, als würden wir, aus Angst vor diesem Strich, diesen gleich selber durch unser ganzes Leben ziehen, so dass es ja kein Anderer macht. Wie in solchen Zeiten der Ungewissheit. Auf was verzichten wir denn nicht alles, um Befürchtetes zu vermeiden, und uns zu versichern, ohne jedoch des Versicherten gewiss zu sein. Ich glaube wir nennen das Hoffnung. Oder einfach mal, Augen und Ohren verschliessen, und unten durch. Lassen wir uns überraschen.

Wie soll man über den Tod denn überhaupt sprechen, wenn wir ihn ja doch nicht kennen? Viele haben wir schon einen Körper gesehen, bereits von lang vertrautem Leben verlassen. Früher hatte man noch die Trauerzüge sehen können, die vereint in der Erinnerung an die Eine durch die Strassen zum Friedhof unterwegs waren. Heute sieht man höchstens mal noch jemanden, der eine Blume auf ein Grab legt, wenn wir durch den Park des Friedhofs streifen. Sonst kennen wir den Tod eher aus dem Fernsehen, wo Reihen von Särgen von Unbekannten gezeigt werden, und natürlich aus den Todes-Statistiken. Die werden dann real. Da ist der Tod zu greifen, kriegt ein Gesicht. Nicht das Schönste und auch nicht eines, das jetzt den Tod sehr viel verständlicher machen würde, aber einfacher zu fassen, weil in Zahlen, und weil es uns nicht persönlich betrifft. Wir müssen nicht klagen und weinen, den Schmerz verspüren, müssen auch nicht mit einer Umarmung den Trost spenden, dessen auch wir bedürfen. Einer Umarmung ohne Schutz, eine Umarmung die alles teilt. Eine Umarmung die zeigt, dass wir bereit sind zu begleiten, wohin immer die Reise geht.

Doch sprechen wir lieber von der Lebenskraft, vielleicht ist der Tod von da aus ja besser zu begreifen. Welche Kraft treibt uns doch an, manchmal auch in den Abgrund, und in den Gedanken wünschen wir uns den Tod, um endlich Ruhe zu finden, um dann gleich, eine Stunde später, bei einem beängstigenden Anfall von Schwäche und Angst vor einem Herzinfarkt, um Verlängerung zu bitten, weil man ja in einer halben Stunde noch einen Termin zum Essen hat, den man unbedingt noch einhalten möchte. Und was ist mit all dem Anderen, das wir uns für ein erfülltes Leben noch erträumt haben? Müssen wir das einfach vergessen?

Kommt dieser Tod denn zur Unzeit? Wer bestimmt die Regeln? Ist es klar, dass das Treffen mit dem Virus uns einfach niederstreckt, weil wir zur Gruppe der Verletzlichen gehören? Verhält sich unser Leben nach den Regeln der Statistik, der Wissenschaft, die wie es scheint, heute über Leben und Tod und deren Sinn entscheidet? Das schwierige ist natürlich, dass alles möglich ist. Vielleicht kommt es auf den Blick an, den wir auf unser Leben werfen. Manche sagen, wir sehen nur was wir sehen möchten.

Ich bin nun wieder einmal dran, mein Leben zu ordnen, und mich auf die Reise vorzubereiten. Ein weiteres Abenteuer, bewusst, dass es im Tod enden kann. Ich bin ein Ordnungsfanatiker, von einem etwas einfachem Geist beseelt, und nehme manches allzu wörtlich. Es ist als würde das Wort mein Leben bestimmen. Nur im Wort kann ich es greifen. Das heisst nicht, dass es das Jenseits der Worte nicht gibt. Doch ich persönlich kann es nur im Raum dieser Erde und in der ausgestreckten Zeit erleben. Alles andere scheint mir zu entgleiten, ja gar von keiner Bedeutung zu sein.

Wo andere erkenntnisreich gleich in die Tiefe gehen können, bewege ich mich horizontal, von einer Pfütze zur Anderen, und lande so manchmal im Dreck, auf meiner Nase. Nicht schlimm, ich liebe den Geruch dieser feuchten Erde, als würde sie mich rufen, nach Hause zu kommen. Doch ich lass mir Zeit, alle Zeit der Welt.

Wenn ich eine Tugend habe, dann ist es die, Termine genau einzuhalten, und wenn immer möglich Versprechen einzulösen. Doch das ist natürlich nicht immer ganz so einfach. Doch wer will es denn schon nur einfach haben. Ich brauche ja auch sehr viel Hilfe. Von Anderen. Ohne manchmal zu wissen, wer der oder die Andere ist. Das ist umständlich, macht mich abhängig, welche Herausforderung für jemanden, der die Freiheit liebt. Ich brauche Hilfe, ja, von Gott, von der Wurzel, über die ich stolpere, oder der unerwarteten Hand, die mich hält. Oft denke ich, dass meine Versprechen Teil eines grösseren Versprechens sind, das immer eingehalten wird, wenn auch auf wunderliche Art und Weise. Doch das kann man weder messen noch objektiv erforschen, ist nur eine Frage von Glauben, Vertrauen, und diese blind. Abhängig von der Vorstellungskraft. Manchmal scheint mir, dass Vorstellungskraft und Lebenskraft gleich dasselbe sind. Auch Freiheit und Vielfalt, die trotz Einheit und Gesetz, möglich sind. Es scheint ein grosser Hut zu sein, unter dem alles Platz finden kann.

Ich weiss nicht warum, doch irgendwie bin ich mir sicher, dass jedes Versprechen mal eingehalten wird. Wie das gehen soll, das weiss ich nicht. Das muss ein Geheimnis bleiben. Doch liebe ich die Geheimnisse, vor allem in solchen Zeiten, in denen Unklares allzu oft in klaren Zahlen erfasst, und Beunruhigendes mit einfach zu befolgenden Regeln ruhig gestellt wird.

Vielleicht ist es also besser, wir sprechen über das Leben, über das was wir mit Hand, Kopf und Herz begreifen können, über das, was wir machen können. Vom Handlungsspielraum. Bedenken wir, was wir wirklich wollen. Vielleicht können wir sogar ein bisschen jeder selber etwas denken, und vielleicht auch uns etwas bewegen, denn dann bewegt sich gleich auch unser Kopf. Wir sind ja nicht so sicher, wo die Intelligenz denn steckt. Sie nur in unserem Kopf zu verorten, scheint mir doch arg bescheiden. Der Magen, das Herz, die Füsse und die Hände spielen bei der Erkenntnis halt eine ungeahnt grosse Rolle. Das Gehirn kann im besten Fall verarbeiten, was es geliefert bekommt. Und gute Ingredienzen bestimmen das Gericht. Auch wenn der Koch diese mit Inbrunst zu einem schmackhaften Gericht verarbeiten kann. Mit Gott ist es ja genau das gleiche, auch er oder sie braucht uns als Würze, als Ingredienzen, und nur dank unserer Vielfalt, unseren diversen Geschmäckern und Verhaltensweisen, kann er immer wieder ein neues wunderbares Gericht aus seinem Hut zaubern.

So scheint mir das auch mit dem Tod zu sein. Gott hat ja vieles zu bedenken, doch er kann auf vieles zugreifen, hat ein Netzwerk von Kindern zu Verfügung, die er nach seinem Vorbild geschaffen hat, und in die Freiheit entlassen, um mit ihm zusammen - etwas vergnüglicher - zusammenspielen zu können, anstatt alles alleine machen zu müssen. So ist der Tod auch etwas in unseren Händen. Lasst uns uns selber etwas überraschen.

Ich selber erwarte den Tod mit ängstlicher Neugier. Bin sicher, dass er nicht zur Unzeit kommt, doch die Überraschung ist mir gewiss – so gewiss wie der Tod es ist.

PS: Ich habe von ihr gelernt, dass es vorteilhaft ist, erst mal ein Rezept genau zu befolgen, wie es nieder geschrieben worden ist, und dann von da aus weiter zu gehen. Durchaus mit Phantasie, mit Freude und eigenem Willen. Es kann immer noch in die Hosen gehen. Doch wer wagt gewinnt. So ist es eben auch mit dem Denken. Nützen wir unseren Spielraum aus, und lassen wir ihn nicht einfach von anderen bestimmen. Denn der Spielraum ist lebendig, kann sich auch von Innen her verändern.

PS2: Auch der Tod ist nicht einfach ein Langweiliger. Er ist wie auch wir selbst. Auch er lässt sich manchmal gerne überraschen. Und langweilig wollen wir es ja nicht. Wenn schon, dann mal eine richtig gute lange Weile. Und die ist uns gewiss.

PS3: Es freu mich sehr, dich, Covid-19, kennengelernt zu haben. Ich werde dich unter deinem richtigen Namen Corona, die Krone, gerne lebendig in Erinnerung halten.

Musik: Grateful Dead: Ripple"

Alternative: Bette Middler, unvergesslich: "The Rose"

3 Kommentare

Petra, 26. Mai 2020

Lieber Jürg,

für deine jetzige Situation ist mir heute das Gedicht von Hermann Hesse in den Sinn gekommen: Stufen.

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern. Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern In andre, neue Bindungen zu geben. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. ... ...

Wir sprachen beim Kaffee über den Totenhemd-Blog und sprach's und schon hattest du deinen Text fertig geschrieben. Danke dafür.

Den werde ich jetzt bei uns verlinken ... ich darf hier ergänzen, dass dich unser Gespräch auf der Terrasse bei schönstem Wetter zu diesem Text inspiriert hat und außerdem zeigte ich dir mein Totenhemd. Wo ist denn Deines? :-)

Herzlicher Gruß und alles Liebe ... sprechen wir in Zukunft via Skype? Herzlich. Petra

Hiltrud, 26. Mai 2020

Hallo, darf ich diesen wunderbaren Beitrag in meinem blog https://mikesch1234.wordpress.com/ veröffentlichen? Oder mit einem Zitat daraus darauf hinweisen, verlinken?

LG, Hiltrud

Katrin - musikhai, 5. Juni 2020

Bei Gelegenheit werde ich in diesem Blog mal stöbern. Danke für den Hinweis!

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