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Eine vergessene Kunst 

21. Dezember 2020, Jürg Messmer

[Beilagezettel]: Bitte bedenke, dass ich - wie vermutlich alle - nur in meiner kleinen Blase lebe, doch hoffe, wenn auch nicht immer "verstanden" zu werden, so doch anregen und berühren zu können. Und Provozieren ist eine der vielen Formen, um zu berühren. Und vergisst nicht, ich provoziere ja nur, weil auch ich immer wieder provoziert bin, ja einfach vom Leben, und immer - wenn auch vielleicht mit etwas Verspätung - dafür sehr dankbar bin.

Auch dieser Text ist wieder lang und ausschweifend geworden. Verzeih. Lese doch einfach was du willst, und überspringe oder beende die Lektüre, nach Lust und Laune! Wenn du denkst, dass der Text zwar inspirierend ist, doch du den besser und dichter, schreiben könntest, so mache das. Du kannst frei kopieren und verwenden. Und den Text sogar auch gerne verlinken, damit andere das Ganze lesen und sich einen eigenen Reim daraus machen können. Danke.

Gestern Abend sassen wir also am runden Tisch, in der Küche meiner Familie hier in Xela, und nahmen wie immer zu dieser Zeit einfache Speisen ein, und dabei klagten wir, weinten und lachten. Für mich gab es wie so oft ein heisses Süppchen, das Doña Carmen mir - allenfalls auch noch bis 10 Uhr Nachts - serviert, oder eher wie mir scheint aus dem Hut auf den Tisch zaubert. Diesen warmen Luxus schätze ich sehr, in diesen winterlich kalten Nächten des Altiplanos.

Diesmal war das Süppchen fast ohne Salz, so dass ich ziemlich nachhelfen musste. Ach Gott, danke, dass ich auch mal wieder etwas arbeiten kann, und nicht endgültig zum reinen Macho verkomme. Das fehlende Salz störte mich also nicht, denn wie wir alle wissen, ist es einfacher, Salz hinzufügen, als es mühsam zu entfernen, und die Suppe gleich arg verdünnen zu müssen.

Und wir sprachen von Covid-19, wie so oft, und auch von der Schweiz, aus der inzwischen schlechte Nachrichten bis nach Guatemala ihren Weg gefunden hatten. Das Virus hätte sich mutiert, die Zahlen seien hoch, auch die der Toten, und die Schweiz sei in den Lockdown getreten. Manche Leute sind ja froh, dass sie sich jetzt in Ruhe ganz ihrer Familie widmen, oder Weihnachten zu zweit in einem schönen Hotel verbringen können. Und ich weiss von einer Freundin, die sich in ein abgelegenes Tal zur Besinnung zurückziehen wird, und sich darauf freut. Und manche, die der Umarmungen überdrüssig sind, freuen sich auch. Es sei ihnen gegönnt.

Nur von meinem Göttichind, von Joya, weiss ich, dass sie sich wegen der unsicheren Lage Sorgen macht; ob der Flug nach Südafrika, der vorerst gecancelled, doch noch stattfinden wird. Damit sie dort, ein ganzes Jahr lang, mehr über wilde und schöne - auch grosse - Tiere lernen, und den Umgang mit ihnen erlernen kann. Schön diese wilde Sehnsucht!

Das zur Situation Schweiz. Soweit ich es weiss.

Da ist mir bewusst geworden, dass ich, auf dieser Insel Guatemala mich einnistend, etwas den Blick auf den Rest der Welt verloren habe, und auch die Situation in der Schweiz nicht mehr so aktiv verfolgt hatte. Und ich machte mir Sorgen ob meiner Familie und meiner Freunde, und suchte die Seite von Admin Schweiz, um mehr zu erfahren. Doch viel, abgesehen von Statistiken, fand ich da nicht.

Ich war unruhig, und hatte etwas Angst ob all der Ängste und beglaubigten Toten, die ja auch mich betreffen könnten. Und dachte, in was für eine Situation haben wir uns da hinein geritten. Zahlen, Zahlen, Zahlen, sogenannte Fakten, die uns in den Wahnsinn treiben. Immer mehr wissen wir, doch wird auch die Frage immer dringender, wozu wir dieses Wissen den nutzen sollen und wollen. Den Sterben müssen wir alle, die Frage also nur, Wie, Wann und Wo, und unter welchen Bedingungen! Und ob wir bei unserem eigenen Tod ein Wörtchen mitreden können.

Wir verfügen über Versicherungen, perfekte, komfortable Autos, die vor allem uns Passagiere schützen. Und über immer bessere Spitäler, Kompentenzzentren, die im Notfall uns noch dem ungeplanten Tod entreissen können, um dann vielleicht trotzdem an einem unerwarteten Infekt, oder anderen Nebenwirkungen zu sterben. Doch wir sind beruhigt, weil wir wissen, unser Bestes getan zu haben, und wir das Schicksal aller Menschen teilen. Mehr kann man ja nicht machen. Und wir wissen, an was wir nun genau gestorben sind. So können wir uns auch bessern, entweder aufhören zu rauchen, oder gleich damit zu beginnen, um uns zu imprägnieren. So genau wissen wir das ja trotz allem nicht. Trotz all des angesammelten Wissens, wissen wir ja eigentlich nichts. Stehen wie der Esel am Berg, genau so wie ich, der ich mir gestern Sorgen machte, um Familie und Freunde, und mich dabei sehr hilflos fühlte.

Warum haben wir so viel Angst vor dem Sterben? Sogar ohne das Sterben zu kennen, oft nur aus den Nachrichten, Erzählungen und von Gerüchten. Ja, ich kenne alle möglichen Gründe für diese Ängste, ausser vielleicht, dass ich keine “eigenen” Kinder habe, um die ich mir noch mehr Sorgen machen müsste. Trotzdem erstaunt es mich immer wieder, dass niemand mehr das Gefühl hat, bei seinem Tod mitreden zu können. Alles nur eine Frage von Statistiken, der Gefahrenerkennung dank standardisierter Forschungsmethoden, und vereinheitlichter Massnahmen, um den Tod zu verhindern, vor allem den Unzeitigen, den Ungerechten, und den Unerwarteten. Als wenn alles klar und deutlich wäre, und einfachen mechanischen und logischen Regeln folgen würde.

Also nicht mehr umarmen, nicht mehr küssen, alles desinfizieren, und nur noch verschweisstes Wegwerfzeugs verwenden, damit man ja nicht angesteckt werden kann. Und das Auto anstatt den öffentlichen Verkehr, oder gar die Füsse, zu benützen. Sich selber erst retten, und erst dann das Kind, auch die Luft, Erde und das Wasser müssen halt warten, auch wenn wir uns dabei gleich selber mit vergiften. Und prompt wird man angesteckt, ganz unerwartet, und keiner weiss genau warum. Wir müssen die Forschung und die Statistiken verbessern! Und: wer war es, Wer oder Was ist Schuld? Das ist das Wichtigste.

Und ich dazwischen, und staunend, und wünschte mir nur, Begegnungsräume zu haben, wieder berühren und umarmen zu können, unsere Sorgen zu teilen, den Verlust von verstorben Lieben zu beweinen. Tränen zu vergiessen. Und zu trauern, ob etwas, das man geschätzt hat und nun verloren gegangen ist. Aber auch um uns zu erfreuen, und gemeinsam zu tanzen, essen und trinken.

Denn kaum hat der neue Tag begonnen, schon ist wieder alles anders. Nein, Verlorenes kann nicht ersetzt werden, doch dank Erneuertem und Erfrischtem in den Hintergrund treten, um immer dann uns daran erinnern zu können, oder erinnert zu werden, wenn wir der Erinnerung bedürfen. Ich weiss, dass Trauer lange dauern kann, doch weiss ich auch, dass die Zeit des Trauerns voller Blüten unerwarteter Einsichten sein kann, auch über das Wunder des Lebens. Und Trauer ist fast schon die identische Zwillingschwester des Glücks, wenigstens immer wieder für mich! Halt ein altmodischer Kerl, dieser Ich.

So denke ich oft über Geschichten nach, die vielleicht nicht alle wahr sind, doch einen Kern Wahrheit in sich tragen. So hörte ich doch manchmal von Menschen, die, wenn sie fühlen dass sie sterben werden, sich in die Berge zurückzuziehen, um da alleine Frieden zu finden. Ich denke an die Tiere, die ja auch sterben, doch oft, ohne dass wir davon etwas zu sehen zu bekommen. Sie werden einfach im Kreislauf wieder aufgenommen, und verschwinden, und machen für neues Platz. Ich denke an die Pfanzen, die verenden, an Blätter, die sich verfärben und dann zu Boden fallen. Und ich weiss, dass diese Zeit des Wandels von vielen Menschen sehr geschätzt wird. Wir freuen uns ob all der sich wandelnden und leuchtenden Farben, und auch am Licht das den Wanderer wärmt, selbst wenn er durch nackte Wälder streift, aber dafür die schwache Sonne, dank blattlosen Ästen, doch den Weg zu Gesicht, Brust oder Rücken findet, und diese etwas erwärmt, und das Licht auch schöne Schatten wirft, und Licht und Schatten miteinander spielen.

Nur wenn ich an den Tod von uns Menschen denke, dann sehe ich nicht mehr viel Schönes. Oft nur noch abgekämpte "Pflegefachpersonen" und - trotz teurer und hochdifferenzierter Bildung - total überforderte Ärzte. Nur noch Hektik, Ambulanzen, und Kampf in hochgerüsteten Spitälern, bei Ärzten mit unzähligen Apparaten, geschützt von Schutzanzügen, und Patienten versorgt und begraben unter Atemmasken und Sauerstoffgeräten. Verrechnet nach Tarmed-Punkten. Kampfschauplätze.

Und dabei immer auch mehr Versicherungen und Fragen, und Anwälte, die über Fehler streiten und Schadenersatz fordern. Und immer mehr isolierte Kranke, die nicht mehr berührt werden dürfen, und gar sich selber überlassen werden. Manchmal nicht einmal in Ruhe gelassen, denn das ist weder vorgesehen noch einfach zu verrechnen. Zu viele Fragen, die nicht mit Maschinen oder von Bildschirmmasken beantworten werden können. Und dabei geht immer alles immer noch menschlicher zu und her: Jeder ein Recht auf Leben, und das Recht, dieses auch durchsetzen zu können, und das alles nach einheitlichem Gesetz und Ordnung.

Es wird mir einfach fast übel, daran zu denken. Es tut mir weh, dass die Kunst des Sterbens so in Vergessenheit geraten ist. Alle richten sich nach neusten Erkenntnissen, und bestehen auf Rechten, und ob aller Rechten vergessen wir die Möglichkeit, unseren eigenen Spielraum auszuschöpfen, und selbst die Sprache vergessen wir, in der wir mit uns, und mit Gott, sprechen und verhandeln können.

Jeder auf seine Art, jede mit ihrem Gott, jeder mit sich Selbst. Denn das Wunder des Lebens ist nicht, dass wir so verschieden sind, sondern gleich, und das Einzige, was uns wirklich unterscheidet und uns so sehr speziell und wunderbar macht, ist unser eigener Standpunkt, unsere einmalige Sichtweise, unsere spezielle Art, an Fühlen und Denken teilzunehmen. Wir sprechen jede unsere eigene Sprache, die wir auf besondere Weise, in eigener Tonlage, mit besonderen Gefühlen, sprechen, ob flüssig oder stotternd. Doch genau die Sprache, mit der wir mit uns und auch mit Gott uns unterhalten und verbinden können.

Vergiss das Wort Gott, wenn es dir nicht gefällt! Denke und fühle ein bisschen selber. Fast unmöglich, nicht? Nein, nicht einmal das musst du. Ich will dich nicht bevormunden, auch ich habe es nicht gerne, wenn mir jemand sagt, wie ich leben und sterben, oder fühlen und denken soll. Das darf ich doch wenigstens noch selber erfahren, ja vielleicht gar selber mit entscheiden! Doch ist das natürlich nicht möglich, wenn man es nicht wagt. Ja, den Spielraum zu entdecken und auszuschöpfen, dafür muss man etwas wagen, und es reicht nicht, sich an Statistiken, Gesetzen und Regeln festzuhalten. Auch Achtsamkeit ist bald nur noch eine leere Hülle, denn es stellt sich doch auch die Frage, auf was wir denn achten sollen, oder achten möchten? Was liegt dir am Herzen? Auch das ist nun in Gottes Namen oft auch etwas anderes für dich, als für alle anderen, oder mich.

Nicht dass man nicht darüber reden sollte, um Regeln der Achtsamkeit sorgfältig abzuwägen. Doch das ist nicht immer allen gegeben. Doch achte doch einfach mal auf dich Selbst. Höre die Stimme deines Herzens, höre deinen Verstand. Denn jeder verfügt darüber, jede auf ihre Weise, weil das alles nicht so genau vereinheitlicht geregelt ist. Bitte, lerne doch wieder die Kunst des Sterbens. Dann lernst du auch wieder zu leben. Auch in umgekehrter Richtung gehts ganz gut, aus meiner Erfahrung! Und vielleicht, wer weiss, wirft dann auch das Coronavirus gleich den Bettel hin, weil es arbeitslos geworden ist, oder einfach froh darüber, eine Pause einlegen zu dürfen!

Doch Halt. Glaube doch nicht jeden Mist gleich sofort wieder, nur um dich an etwas halten zu können! Oder reg dich doch ab solchem Quatsch nicht gleich auf. Du hast Halt genug. Denke selber. Nehme aktiv teil an den Gedanken. Und ordne sie so, dass sie auch für dich passen. Doch lass die Türen offen.

Warum kannst du nicht mehr essen, was dir schmeckt und grad das Richtige für dich zu sein scheint? Warum bestimmen dein Essen nur noch Aerzte, Ernährungsberater, oder die Werbung, die dir etwas weis oder schmackhaft machen will? Klar, auch diese machen ja nur ihre Arbeit, und ich kann deren Ehrgeiz, Freude und Arbeitslust gut verstehen, selbst wenn sie heute halt auch vor allem viel Geld verdienen wollten. Doch das heisst ja nicht, dass du alles fressen musst, was dir serviert wird, selbst wenn es in der Doppelpackung billiger ist. Ja, der Preis, der stimmt. Doch wo bleibt der Wert, und der Sinn des Ganzen. Doch zugegeben, auch ich esse oft sehr gerne einfach, was auf den Tisch kommt. Da gibt es so manche Überraschungen, und man kann mit alten Gewohnheiten brechen. Neues anders sehen und schmecken lernen. Und manches auch geniessen. Also gut. Was auch immer!

Macht ja eh alles kein Sinn!

Ja, das befürchte ich auch oft, doch Sinn gibst du dem Leben nur selber. Genau so wie ich. Doch nicht ohne Hilfe. Denn auch das, was du denkst, das du selber bist, ist und bleibt ein Geheimnis. Doch ein Geheimnis, dass sich immer wieder offenbart, mit jedem Schritt, den du machst, vor allem auch mit dem, den du wagst. Ja, in aller Unsicherheit manchmal, doch dann doch immer wieder sicher.

Ich kann nicht sagen, dass ich vor Covid-19 keine Angst hätte, denn schon all die Gesichter, die Bilder aus Spitäler und die bedrohlichen Zahlen der Statistiken machen mir Angst. Vor allem aber die, die mich zweifelnd und vorwurfsvoll anschauen, wenn ich etwas Kritisches oder nicht Angesagtes sage. Angst davor, dass ob der Angst vor dem Tod, man gleich selber töten, oder andere des Mordes anklagen könnte.

Ich denke dann, warum nicht gleich sein eigenes sicheres Grab schaufeln, so dass man nicht unter vorgestellten Qualen - gemäss der hässlichen Bilder und Informationen in den Medien - zu Unzeit und so ganz ohne Kontrolle, sterben muss. Ja, auch Fantasie und Träumen sind eine Kunst, die man nicht einfach erlernen kann. Man kann sich nur wieder öffnen, neu entdecken, manches neu erwägen, oder vielleicht sich gar erinnern, und mit etwas frischer Vorstellungskraft gar wieder Lebenslust und -freude empfinden. Doch die Vorstellungskraft ist eben jedem seine eigene. Nicht standardisiert, wenn auch durchaus teilbar, mit Freunden, oder Feinden.

Fantasie regt an, und beantwortet so manche Fragen, auch von zu hohem oder zu tiefem Blutdruck. Vor allem wenn man sich den Blick auf die "Norm" erspart. Erspart also vielleicht gar den Weg zum Gesundheitsmanager. Und reduziert die Kosten der Krankenkasse. Nicht das Wichtiste, doch ein schöner Seiteneffekt, für einmal positiv die Nebenwirkung. Und garantiert ohne Garantie. Nur die, dass auch du ein Wort mitreden kannst, wenn es um deinen eigenen Tod und dein Leben geht. Auch wenn es das gar nicht geben möge, da wir ja alles teilen, und voneinander abhängen, so bist doch du es, der dich kennt. Weisst du, wen ich meine? Ja, genau den, der dein Leben mitbestimmt. Wer den sonst? Gott? Ja, der vermutlich auch, wenn vielleicht auch nur als Grosse Leere, die wir mit Sinn erfüllen. Doch auch dann musst du deine Sinne, dein Gehör schärfen, und dabei so manch lang Gelerntes mal wieder über Bord werfen. Ja, mal so richtig ausmisten. Doch bitte auch nicht grad das Kind mit dem Bade auschütten. Ja, du kannst es auch behutsam angehen. Die Versicherung immer noch weiter bezahlen. Denn auch diese Leute wollen ja leben, genauso wie die Ärzte. Aber bestimme mit in deinem Leben. Ja, das kannst du. Da bin ich mir sicher.

Natürlich macht Sterben Angst, vor allem weil wir soviel darüber wissen, oder glauben, es zu wissen, und wir uns gar gemeinsam immer wieder in Schrecken versetzen. Natürlich ist klar, dass wir sterben, genau so wie die Blätter im Herbst von den Bäumen fallen. Und selbst die Zeit, die können wir vermutlich nicht ganz genau bestimmen, auch nicht mit Hilfe von Maschinen oder ausgeklügelten Algorithmen. Vielleicht müssen wir den Tod und das Sterben einfach wieder neu sehen, als eine notwendige Erneuerung, einen erwünschten Stellen- oder Rollenwechsel, oder einfach eine verdiente Atempause. Ja gar als eine Art Wellness. Und wenn schon, dann richtig! Und auch die Zeiten des Abschiedes geniessen, des sich gemeinsam Erinnerns, des sich langsam dankbar Gewöhnen an das, was bald nicht mehr gewohnt sein wird. Auch uns bewusst werden, dass nicht alles ja immer so schön gewesen ist, und man sich erst aus Angst vor dem Verlust, sich wieder auf das vorher vielleicht gar verhasste so liebevoll wieder besinnt.

So kann ich als abhängiger Mensch, der gerne austauscht und berührt, nie verstehen, wie sich Menschen immer mehr isolieren und abschotten wollen, sich selbst gegen andere wenden können, und diese anklagen, nur damit sie ein Leben retten können, das eh so nicht zu retten ist. Dinge zu bewahren, ist schön, das kenn ich auch. Doch manchmal muss man sie auch loslassen können. Und ja, du hast Recht, auch loslassen kann manchmal fast unmöglich sein. Genau, auch losgelassen muss man werden. Also schauen wir genau hin und wundern, und fragen uns, was ist mein nächster Schritt? Was möchte ich? Ja sogar, was will ich? Auch, was will ich nicht. Wir alle haben den Willen zur Verfügung, jeder zum Glück auf ganz eigene Art.

Es gibt kein Lehrbuch, um das zu lernen. Es ist eine Kunst, zu leben und zu sterben. Es ist eine gelebte Kunst, keine die man bei Art Basel erstehen, oder an den Mann oder die Frau bringen könnte. Es lebe die Kunst, die vergessene! Ich habe sie nicht vergessen, wurde oft daran erinnert, obwohl ich ja immer noch nicht genau weiss, was und wie sie ist. Doch ich liebe es, zu lernen und meine Augen offen zu halten, auch wenn ich eine Brille trage, und die optische Sicht immer schlechter wird, und auch die Ohren die Ansagen der NachrichtensprecherInnen oft nicht mehr so klar hören können. Doch da bin ich manchmal ja ganz froh darüber, so kann ich auf das hören, was ich noch hören kann, was mir wichtig ist, vielleicht gar was ich einfach hören möchte. Und die Stimme, ist es meine? Ja meine, die höre ich immer.

Viva el arte de morir. Viva el arte de vivir!

Nachtrag: Die Statistiken und all das Wissen machen uns bewusster um Leben und Sterben. Mehr denn je. Doch sind wir wirklich bewusster? Was ist Bewusstsein, und ist Bewusstsein lernbar, oder zu verbessern? Reicht es nicht, wenn ich mir bewusst bin, in welcher Scheisse ich stecke? Und welche Freuden ich - trotz derselben - immer wieder entdecke? Auch, dass ich das alles teilen, und dabei, ob lebend oder sterbend, gar manche Wunder erleben kann!

Über Glauben lässt sich nicht streiten, über Wissen sehr wohl. Also lasst uns eine gute Mischung finden. Eine bisschen Dummheit wie der Glaube schadet nichts. Doch vielleicht bin ich zu dumm, um dies zu beurteilen.

Eine kleine Anleitung:
Na, ja, so einfach ist die nicht. Doch um von A nach B zu gehen, muss man den Weg gehen, Schritte machen. Muss? Jein! Soll? Ja und nein! Darf, ja auch das ist sehr wohl möglich. Der Weg entsteht beim Gehen, immer mit dem nächsten Schritt, und der ist immer auch der Erste! Und das Display, um deine Schritte zu überwachen und zu steuern? Es gibt kein besseres! Es steht dir jederzeit zur Verfügung, du erkennst es gewiss, und vielleicht findest du es auch in Form des Bildschirmes, auf den du blickst, um diesen Text zu lesen. Ja, auch dieses. Etwas wehmütig muss ich das zugeben. Doch schön, dich kennengelernt zu haben und mit dir etwas auszutauschen. Danke. Vielen Dank.

Noch ein letztes Wort (Sorry, bin halt ganz Mann):
Wissenschaft und Fantasie stehen sich gegenüber und spielen. Mit dem einen kann man gut erforschen, und allgemeingültiges Wissen von Leben und Tod verwalten. Mit der anderen kann man das nicht; nur weinen, sich freuen, oder gar spinnen, und eigene Schritte machen. Leben und Sterben. Nur wer stirbt, ist auch bereit zum Leben. Es gibt nur eine Antwort. Lebe. Das nennt man auf deutsch so schrecklich: Ver-Antwortung. Tönt in meinen Ohren eher nach Ver-Irrung. Doch irren ist ja, bekanntlich, menschlich.

Zum Schluss noch eine grosse Frage: (sie liegt mir auf dem Magen)
Warum erschrecken wir so ab all den Zahlen, nur weil die zum ersten mal so alle zusammengeflossen sind und uns gleichzeitig zur Verfügung stehen? Ja sie erschrecken! Doch wissen wir das alles denn nicht schon lange? Was ist mit dem Bäcker, der kaum sein grosses Cafe am Platz eröffnet, seine Angestellten wieder entlassen muss, und einen Herzinfarkt erleidet? Und was mit allen anderen, die einsam sind, auf kleinem Raum leben, und zu "beschränkt" sind, weil ohne viel Raum und grosse Bildung, um den Nutzen einer Maske, den Sinn des Schutzes des eigenen Lebens und den Nutzen einer Isolierung zu erkennen? Was ist mit den Flüchtlingen, die immer mehr zu uns Reichen und gut Geschützten drängen, und im Meer ertrinken, oder auf der Reise der Hoffnung sterben? Was ist mit den Kriegsopfern, mit dem Kanonenfutter? Und was ist mit jenen, die nicht einmal über sauberes Wasser verfügen, und an unserem exportierten Schrott sich vergiften. Und was mit den Vögeln, den Insekten, den Bäumen, der Luft und dem Wasser?

Nicht einmal für all dies müssen wir selber denken. Es reicht, wenn wir darüber nachdenken, was das alles für uns bedeutet. Ja auch für unsere Kinder. Und für uns. Es gibt immer noch solche, die gerne auf dieser wunderbaren Erde noch leben und geniessen möchten. Und nicht die abenteuerliche Flucht auf den Mars planen wollen. Auch nicht in Raumfahrzeugen und nur in Städten leben. Gemäss Wissenschaft haben wir - wie ich mal gelesen habe - ja noch 1,2 Milliarden Zeit dafür zu leben, bis die Welt dann untergehen möge. Glauben wir ihr doch, wenigstens für dieses eine Mal. Also keine Panik, es gibt noch viel Zeit zum Forschen, doch auch zum überlegen, wie wir forschen, und wie wir Wissen einsetzen wollen. Uns allen dabei viel Glück!

Schöne Weihnachten, und ein gutes neues Jahr, 2021!

Jürg, geniesst weiter, und löffelt, sein warmes Süppchen.

PS: Eine kleine Geschichte, zur Frage der "Mitbestimmung": Bereits etwas angeschlagen fuhr ich mit dem Zug in die Stadt, um einer Einladung zum Essen zu folgen. Ich fuhr, und der Zug hielt an, im Hauptbahnhof. Doch als ich aussteigen wollte, konnte ich kaum aufstehen, und nur unter grossen Mühen die paar Tritte zur Plattform hinaufsteigen, wo der Ausstieg sich befand. Alle Leute hatten den Zug bereits verlassen, und ich hielt mich fest am Geländer, Schwindel und eine grosse Schwäche in der Brust. Ich wusste, es ist Zeit zum Sterben. Ein komisches Gefühl.

Doch dann erinnerte ich mich meines Termines, zum gemeinsamen Kochen, auf das ich mich gefreut hatte, auch an den Termin, den ich nicht einhalten können würde. "Sch.....!" Nein, das kann nicht sein. Als wäre es ein Stossgebet. Und gleich war ich wieder etwas bei Kräften, und konnte so doch noch aussteigen, bevor der Zug gleich wieder abgefahren wäre. Noch etwas langsam lief ich zur Rolltreppe, verzichtete für einmal darauf, die 62 Tritte zu Fuss die Treppe hochzusteigen, und lief zum Tram. Und es ging immer besser. Stieg ein, stieg aus, und zum ihrem Haus hinauf, und konnte schliesslich beim Kochen helfen, und auch das gemeinsame Essen geniessen. Und soweit ich mich erinnere, verbrachten wir einen sehr schönen Abend zusammen. Es ist doch schön, noch Termine zu haben, und diese auch einhalten zu können. So Gott mir helfe, und dankbar, dass Er mich immer wieder mitreden lässt.

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