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Was Wissen schafft 

27. November 2020, Jürg Messmer

Was schafft Wissen? Die Wissenschaft? Arbeit, doch kaum Glauben, wenigstens nicht auf den ersten Blick. Doch Hoffnung, Hoffnung auf Erkenntnis, und damit verbunden Freiheit und Fortschritt. Und wer will nicht fortschreiten und frei sich bewegen, vor allem wenn man "Füsse" hat, und "Schritte" machen kann.

Eine Erzählung: Es war da einmal ein Wesen, das sah, dass es einen Körper hatte, und diesen erweitern konnte. Es (er)fand (Werk)zeuge, und verwendete sie. Den Nussknacker, den Schlagstock, die Sperrspitze, das Rad. Den Hebel und die Maschine...

Erwarte bitte keine allzu wissenschaftliche oder präzise Erläuterungen, denn solches liegt mir nicht. Ich verfüge nicht über die notwendigen Werkzeuge. Mir bleiben nur das Denken, geprägt durch Schule und die Schule des Lebens, und ein "gesunder Menschenverstand". Zugegeben: eine persönliche Einschätzung. Vielleicht nennen wir dies besser eine Geschichte, gewachsen aus Gefühlen, Regungen, und Gedanken, meinen Händen und der Fantasie, und nicht zu vergessen diese Maschine, auf der ich dies schreibe. Das alles sind Werkzeuge, vor allem weil wir diese als getrennt betrachten und glauben, sie unabhängig voneinander verwenden zu können. Vielleicht ist es ja diese Kunst, alles in Einzelteile zu zerlegen und sie wieder neu zusammenzusetzen, die uns so weit gebracht hat, durch Wissenschaft.

Und wir Menschen haben es weit gebracht. So haben wir auch Covid-19 erkannt, das ganz nach eigenen Gesetzen funktioniert, und mit dem Leben sonst nicht allzu viel zu tun hat. Dank Denken in Boxen haben wir die Freiheit geschaffen, intelligent zu handeln, und haben die Sache im Griff. Na, ja, bis auf weiteres. Das andere können wir ja später noch machen. Ja, ein eigenartiges Gesamtkunstwerk haben wir geschaffen. Lasst es uns so beschreiben:

Also, du lässt immer wieder etwas fallen, und musst es aufheben. Das wird dir langweilig, es ist mühsam, und immer das Gleiche. Also kommst du auf die Idee, eine Maschine zu erschaffen, die das gefallene Ding wieder aufheben kann. Super. Du musst dich nicht mehr runterbeugen. Und die Welt liegt dir zu Füssen.

Doch nach einer Weile kriegst du Rückenschmerzen, und merkst, dass dein Rücken wegen fehlenden Beugen, geschwächt worden ist. Das ist ein Problem. Doch die gute Erfindung, die erlangte Freiheit, willst du nicht gleich mit dem Bade ausschütten. Also beginnst du zu turnen. Das ist schöner. Das musst du nicht tun, nur grad jetzt, doch meist erst dann, wenn du es willst, und nicht immer grad, wenn etwas auf den Boden gefallen ist. Das ist Freiheit. Ok, doch die Maschine kostet ja auch Geld, also musst du es machen, so zum Beispiel mit arbeiten. Doch du machst nun eine intelligente Arbeit, nämlich Geld verdienen, und musst nicht einfach etwas vom Boden aufheben, das kann ja jeder. Das ist ein Fortschritt. Vor allem musst du nicht einmal dann Geld verdienen, wenn das Zeugs auf den Boden fällt, sondern auch das nach Lust und Laune. Freiheit. Doch auch diese Arbeit wird irgendwann eintönig. Das ist lästig. Wir brauchen einen Rhythmuswechsel, also Ferien. Ferien von der Arbeit. Doch das kostet Zeit, und Geld.

Also müssen wir mehr Geld verdienen. Also nicht nur eine Maschine bauen, sondern die Idee verbreiten, anderen schmackhaft machen. Und anderen verkaufen. Und Schwups. Wir haben das Geld, auch für die Ferien. Und wir sind ja sicher, die anderen wollen auch davon profitieren, dass sie sich nicht mehr runterbeugen müssen, um etwas aufzuheben, dass sie fallengelassen haben. Denn das muss ja hintereinander gemacht werden. Und auch sie wollen  arbeiten und Ferien machen, wann sie es wollen. Wenn man jetzt arbeitet, dann muss man sich nicht mehr beugen. Höchstens vor seinem Chef. Doch das kostet - meist - keinen Schweiss, bedarf keiner Anstrengung. Sicher nicht auf den ersten Blick. Aus den Augen, aus dem Sinn, das ist befreiend, dann kann man sich seine Welt selber zusammen basteln.

Auch ich bin so weit gekommen! Ich habe sogar geerbt, habe Geld zur Verfügung. Und das alles dank Werkzeugen und Wissenschaft. Klar, einige behaupten, dass die Jurisprudenz ja keine Wissenschaft ist, doch glaubt mir, es bedarf einiger gedanklichen Konstrukte, um eine Welt so zu organisieren, dass sie gerecht ist, oder wenigstens nach Regeln funktioniert, damit man auch die Freiheit geniessen kann, um Werkzeuge zu bauen und zu verkaufen, und um sicherzustellen, dass man das auch geniessen kann. Und dass man in Ruhe Wissenschaft betreiben kann. Im eigenen Haus leben, und nicht da wo diese Werkzeuge gebaut werden, und es lärmig ist und stinkt. Und dass dieser Raum gesichert ist, das hat man verdient, denn man hat Freiheit gebracht für alle, die Freiheit von Mühen und der Langeweile, und befreit davon, Fallengelassenes selber wieder aufheben zu müssen, und das sogar ohne die Zeit bestimmen zu können. Und erst noch hat man Arbeitsplätze geschaffen. Win Win, alle gewinnen Freiheit und Arbeitsplätze. Zwei Fliegen auf einen Schlag. Denn Wissenschaft geht ohne klare Regelung von Rechten und Pflichten, und Rahmenbedingungen nicht. Doch Wissenschaft soll unabhängig bleiben, rein sein, denn sonst machen wir ja Zeugs, das nicht der reinen Vernunft Genüge tut, deren hohen Anforderungen nicht gerecht wird.

Dass es jetzt Leute gibt, die zwar nicht ihren eigenen Dreck auflesen müssen, aber schwere Teile tragen müssen und deshalb ihren Rücken belasten, das spielt keine Rolle. Wir können sie ja versichern, so gibt es gleich auch die Versicherungsarbeit, neue ungeahnte Tätigkeiten und Verdienstmöglichkeiten, und erst noch Sicherheit, zwar nicht für den Rücken, doch dazu, dass der mindestens eine Behandlung erhält, oder einen Rollstuhl, und man dabei selbständig bleiben kann. Und unabhängig. Und es gibt Arbeit für Physiotherapeuten, Orthopäden, und was auch immer. Das bringt weitere Vielseitigkeit, interessante Arbeit und jedem seine eigene klare Bedeutung. Für Jedermann. Frau. Was auch immer.

Auch die Arbeit des Rechtsgelehrten wird gestärkt, denn Arbeitsrecht, nicht nur Gesetze, die Eigentum regeln, steht nun auf dem Plan. Also ich kann wählen, nicht nur ob ich Jurist, sondern auch ob ich Arbeitsrechtler bin oder mich mit Eigentumsrechten herumschlagen möchte. Oder Strafrechtler, denn je mehr Gesetze, desto mehr Straftaten, also schon wieder haben wir die Kunst geschaffen, jemandem eine Arbeit und damit Bedeutung zu verschaffen, und Geld, damit er sich nicht beugen muss, um selber Fallengelassenes auch selber wieder aufheben zu müssen. Und erst noch Kriminelle, die wir behandeln und mit denen wir Gefängnisse füllen können, weitere neue Arbeitsgebiete und Bedeutungshoheiten. Und Arbeit für Bauarbeiter. Und immer so weiter. Wir alle werden also frei und unabhängig!

Zugegeben, langsam eine komplizierte Geschichte. Doch auch die Freiheit kostet, doch wir haben ja jetzt Zeit. Zeit zu koordinieren, unsere Arbeit, unsere Freizeit, unser Vergnügen. Oder über denn Sinn des Ganzen nachzudenken. Das ist doch schön. Was würde ich ohne all dies denn nun machen. Ich müsste jetzt Geschirr abwaschen anstatt den Geschirrspüler es machen zu lassen, oder putzen, ohne die Putzfrau. Könnte meine Zeit nicht mehr frei einteilen. Und das alles habe ich geschafft dank Wissen, ja, dank der Wissenschaft.

Etwa da stehen wir. Inzwischen hat sich ja auch die medizinische Wissenschaft weiterentwickelt, so dass sie schon viel Platz und Vielfalt bietet, spannende Arbeit, neue Wissensberge erklommen, und Maschinen werden erfunden und produziert. Es gibt viel zu tun. Und auch Geld zu verdienen. Denn inzwischen müssen Menschen ja nicht mehr einfach sterben, unfreiwillig oder zu unrechter Zeit, weder als Kind, noch als Alter mit noch unklarer Nachfahrenregelung. Wir können etwas machen. Nein, nicht einfach leben, und wie es im Moment notwenig ist, sondern nur dann wann immer wir wollen. Getrennt. In Einzelteilen, und diese nach Lust und Laune wieder neu zusammensetzten.

Dank dem wir immer besser wissen, was gesund, was krank, was lebendig und was tot ist, haben wir Spielraum geschaffen, Raum für alle. Medikamente, die es uns erlauben, frei zu entscheiden, ob wir jetzt mit Kopfweh eine Pause machen wollen, oder einfach ein Schmerzmittel einwerfen, damit wir frei sind, etwas anderes zu machen, als zur Ruhe zu kommen. Das können wir auch noch später. Nicht jetzt. Jetzt haben wir besseres zu tun. Und sterben, nein, lieber noch nicht, lieber später, denn wir haben ja noch einiges zu geniessen. Wir leben nur einmal. Wir müssen schaffen. Oder die Welt retten. Wir haben die Freiheit, uns selber sein zu können. Jeder seines eigenen Glückes Schmied, ganz nach dem Vorbild Gottes, nach dem wir gebaut sind, und der jetzt dank Arbeitsteilung auch mal Ferien machen kann.

Schön für Ihn. Sorry, Sie natürlich, denn Gott ist vermutlich eine Frau! Lieber. Warum? Weil sie Multitasking kann und Intuition jetzt vielleicht wichtiger ist als männliche Wissenschaft. Fantasie, um uns aus dem Schlamassel der Freiheit wieder zu befreien. Ich hoffe nur, die Frau bleibt auch Frau, wenn sie mal an Gottes Stelle ist. Oder ist ihr Wesen auch von ihrer Position, von ihren Bedingungen abhängig, oder ganz ihr eigenes?

Sind wir am Ende nicht eher Beziehungswesen als eigenständige und durch Konsum normierte Roboter, die in Einzelteile zerlegt, die wahre mechanische Wahrheit des Lebens offenbaren? Vergiss es, das wäre ja unerträglich eine solche Erkenntnis, wir wären ja unberechenbar und abhängig, und unkontrollierbar. Und ohne Wert, der zu vermarkten wäre. Wenigstens nicht in juristischer Form regelbar, und Tür und Tor geöffnet für Chaos, Unordnung. Und wer sollte das wollen? Und wer will den schon eine höhere Ordnung erkennen, unmöglich mit unserer wohl geordneten und eigenständigen Intelligenz.

Ja, das Wissen, was hat es nicht alles geschafft. Viel, wie ich bereits gezeigt habe. Was wir nicht alles wissen! Wir können sogar wohl geordnete Bildschirme bauen, die endlich alles klar machen. Das Wissen hat eine Revolution gebracht, ja eher massivste tektonische Platten verschoben und eruptiv ein mächtiges Gebirge geschaffen. Wird es weiter wachsen, oder langsam wieder erodieren? Oder werden mit Bergstürzen allfällige Spannungen und Ungereimtheiten wieder ins Gleichgewicht, ins Lot gebracht? Schön, wenn man dann wieder Kristalle finden könnte, schöne Steine, und die, die da vorbei läuft vielleicht wieder einen aufhebt, um ihn anzuschauen, ohne eine Maschine oder Lupe zu gebrauchen. Und ja, von da gehen wir dann wieder weiter.

Ich hoffe immer noch, ich kann weiter über Gras laufen, vor allem mit nackten Füssen, und kann mir die Fussreflexzonen-Massage, vor allem die elektrische, ersparen. Doch da fehlt natürlich Arbeit für andere. Trotzdem werde ich weiterhin das Gras um Verzeihung bitten, und es dann geniessen, darüber zu laufen, und den Boden unter den Füssen spüren. Und ich werde zufrieden beten, dass ich auch mal eine solch sinnvolle Arbeit machen kann.

Arbeit macht frei. Nein, vergessen wir diese Geschichte. Besser "Ora et labora", Beten und Arbeiten. Na ja, über Begriffe kann man sich streiten. Sprachwissenschafter bitte. Und vielleicht beides am besten zusammen, dann brauchen wir weder Kirchen, noch Religionskriege. Doch vermutlich würden wir diese schnell vermissen, und wieder von vorne beginnen. Mal arbeiten, mal beten.

Doch was solls. Auch vor Gott müssen wir uns wenigstens nicht mehr beugen. Doch geht es ganz ohne diese Beugung? Beugen wir uns nicht vor den Sachzwängen, vor der Realität, die wir nicht ändern können? Vor den Tatsachen? Vor den Statistiken? Vor den Spezialistenmeinungen? Beugen wir uns vor der Sucht, immer mehr zu wollen? Es bleibt spannend. ich rauche weiter.

PS: Mein Bruder hat sich immer lustig über mich gemacht, dass wenn ich A sage, ich zwanghaft B sagen müsse. Keine Freiheit. Ja, das stimmt. Alles andere macht mir kein Sinn. Doch ich brauche die Gnade, dank Erkenntnis, dass sowohl A als auch B sich laufend verändern. Der Weg entsteht unter den Füssen. Die Zukunft entsteht, und die Vergangenheit auch. Die Erzählung verändert sich. Auch Wissenschaft ist eine Form der Erzählung.

Bild unten. Gesucht nach "Conundrum science", zufällig gefunden bei McGill (separating sense from nonsense).

Teil vom Bericht: "Der fünfte Monat"

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