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(Mein) Xela 

21. April 2021, Jürg Messmer

Hinweis: Einen kurzen Bericht über "mein Xela" zu schreiben, war unmöglich. Bilder, ja, ein Bilderbuch. Eine Fundgrube vielleicht. Von einem "hoffnungslosen" Romantiker, der sich Gegenwart ohne Geschichte und Zukunftsvorstellungen nicht vorstellen kann.

Ob Xela eine Stadt ist, oder ein Ort in meiner Seele, das ist mir nicht so ganz klar. Vor allem sind ja Städte für mich nicht unbedingt Orte meiner Wahl, da muss schon einiges zusammen kommen, dass ich mich dahin verirre und dann noch verweilen möchte.


Blick durch das Fenster des Busses auf die Hochebene von Quetzaltenango, mit den Vulkanen Santa Maria und Cerro Quemado

Als ich 1999 - kurz vor dem Milleniumwechsel das erste mal nach Xela kam, war ich grad der antiken Hauptstadt La Antigua Guatemala entflohen. Dieser wilden Theaterkulisse mit wunderschönen Eroberer-Hinterlassenschaften, in Form von Kolonialbauten und Widersprüchen, meiner ersten Gastfamilie und Sprachschule, Schuhputzern denen ich mit meinen Nichtleder-Schuhen nicht dienen konnte, drohenden Räubern oder Tagedieben, Huren, die in mir einen Kunden sahen, es aber "nur" für Sozial- und Sprachunterricht auf der (erschlichenen) Bank im Garten des kolonialen Luxushotels, beim gemeinsamen Mittagessen im Comedor, oder bei spontanen Besichtigungen von alten Ruinen reichte.


Margarita, meine erste (Sprach-)Lehrerin in La Antigua, Guatemala, 1999. Typisch guatemaltekische Liebenswürdigkeit. Eine der vielen Lehrerinnen, die mein Leben bestimmen. (Aus einem Brief in Form eines selbstgebastelten Heftes an Anna)

Die Sprache lernte ich da zuerst einmal mit der jungen Sekundarschul-Abgängerin Margarita, im improvisierten Klassenzimmer meiner ersten "Spanish School" in Guatemala. Da erhielt ich mein erstes Cuaderno, mein Schreibheft, dass wir mit Worten und Sätzen, oder mit Zeichnungen füllten. Ich besuchte sie im Dorf, wo sie mit ihrer Mutter lebte. Auf dem Dach der Schule machte ich bei schönsten Abendstimmungen meine ersten Salsaschritte, und versuchte, als alternder Jüngling (48) einen Weg im Dschungel meiner Hoffnungen und Befürchtungen und immer noch lauernden Hormonen zu finden. Stress und Aufregung pur, etwas beruhigt durch mein schönes ruhiges Zimmer, mit direktem Zugang zum Patio, bei einem pensionierten Lehrer als Gastvater und seiner Haushälterin, die das Frühstück bereitete, während dem er mich sehr geduldig und verschmitzt in Sprache und Lokalpolitik einführte, als wäre ich einer seiner lernwilliger Erstklässler.


La Antigua und der Hausberg Volcán de Agua. Schmuckes Dorf, heisse Mischung von Touristen und Überlebenskünstler, die auch in Form von Dieben und so daherkommen.

Es waren zwei intensive Wochen, in denen ich auch die ersten zwei Vulkane bestieg. Den Volcán de Agua, den Hausberg von Antigua, und den Pacaya, der zur Zeit wieder Rauch und Asche spuckt und mit seinen überfliessenden Lavaströmen die Menschen bedroht. Doch das Gefühl, dass ich da in einem etwas unkontrollierten Club Méditerannée gelandet war, liess mich nicht los, und so war ich dankbar, als ich erstmals von Xela hörte, diesen grösseren Stadt im Altiplano, Zentrum von Indigenen, abseits der Touristenströme. Und von einer Schule namens ICA, die sehr gut sei.


Terminal de Xela. Liebevoll aufgemotzte Camionetas direkt am Markt (2019, vor Covid)


Der grosse Markt gleich am "Busbahnhof" in Xela (2019, vor Covid)

Damals reiste ich noch mit den farbigen Camionettas ("Chicken bus"), ihren wilden Fahrern und kühnen Assistenten, und kam im Terminal von Xela an. Busbahnhof wird dem nicht gerecht. Ein scheinbar wildes Durcheinander von Bussen und Händlern, gleich neben dem grossen Markt, weit vom Stadtzentrum. Von da her musste ich - wie immer zu Fuss und mit Rucksack, doch ohne Handy - das Haus des Schulleiterpaars finden, die mich dann einer Gastfamilie zuweisen würden. Das klappte. Ich hatte ein Zimmer bei meiner ersten alleinstehenden Mutter mit ihren zwei Kindern und dem Enkelkind, meine ersten Erfahrungen mit kalten Nächten ohne Heizung, und eine (Sprach-)Schule, in der ich wieder lernen konnte. Ein guter Ausgangspunkt für neue (herausfordernde) Abenteuer.

Die Sprachschule ICA war damals schon im Übergang von Aufbruchsstimmung und Sozialexperiment zur Professionalisierung. Doch immer noch sehr lebendig, und gefüllt mit suchenden und lernwilligen Reisenden oder “Flüchtlingen" aus aller Welt, und lehr- und arbeitswilligen LehrerInnen, und die meisten bereit, Einblick in ihr Leben zu geben, und oft auch lebenslustig. Unterricht, dies noch vor Covid-19: "Distanzlos" eins zu eins. (4-5 Stunden am Tag, 20-25 die Woche)


Ana (links), und Vivian (rechts), alle suchten immer einen Sonnenplatz im Innenhof, denn in den kleinen fensterlosen Kabäuschen im ersten Stock war es immer kalt! Im Innenhof fanden die Pausen, Präsentationen, Diplomverleihungen, Essen und improvisierte Tanzstunden und Feste statt. Immer wieder verkauften Indigene ihr Textilien.

Bereits damals lernte ich einige der Menschen kennen, die mir auch heute noch wichtig sind. Erst Mario, der mich mehr auf der Strasse, in kalten Innenhöfen oder im Nachtclub als in der Schule in die Grundbegriffe der spanischen Sprache und Gramatik einführte. Dabei lernte ich Ausdrücke, die im sorgfältigen Umgang mit Sprache hier nur in Ausnahmefällen Verwendung finden, wenn dann, in "Anführungszeichen". Ein Psychologe und deshalb “Kollege" von mir, "auf Augenhöhe", doch mir intellektuell weit überlegen, etwas was ich nur mit meiner wilden Phantasie und mit meiner Bereitschaft, mich dem oder meinem Dschungel zu stellen, etwas ausgleichen konnte.

Doch lernte ich auch - unter vielen anderen - Ana, die eher stille Festung, Vivian, die kleine, ernste, leicht zu übersehende, und die wilde Erika kennen, bei der ich nicht nur vertiefte Einblicke in präzise Grammatik erhielt, und die Kunst erlernte, Wörter, und sogar ganze Sätze, aus dem Rauch unserer Zigaretten zu fischen, also den Tanz mit der Sprache, sondern auch den mit den Füssen, eben Salsa (oder Merengue, Bachata).

Tanz mit Wörtern und der mit den Füssen lagen nah beieinander, flossen ineinander über. Auch Sozial- und Entwicklungsprojekte waren ein Thema, und spielten mit. Da wusste ich, ich will endlich tanzen lernen, den Tanz des Lebens erlernen, meine verzweifelte Lebenslust in eine vielleicht etwas fliessendere Form bringen. So bin ich seither immer wieder hierher gekommen, und immer noch scheint es mir ein Wunder zu sein, wie ich hier landen konnte, mitten in dieser Stadt, und das in Guatemala.


"Brief "an Anna, zum Abschied von Xela (April 2000)

Ich war ja damals hierher gekommen, weil ich in einer meiner grossen Krisen war - damals mit Anna - und ein paar Monate nach Santiago de Compostela hatte pilgern wollen. Doch da ich dafür erst Spanisch lernen wollte, landete ich in Xela. Es war billig, kriegsgeplagt und hatte mein Interesse geweckt. Santiago wurde zu Xela, und Galizien zum Altiplano von Guatemala. Aus Xela hatte ich Anna dazumals solche Briefe in Form von selbstgebastelten Reiseberichten gesandt, die sie mir Jahre später wieder zurückgegeben hatte, als sie aufräumte, was mich sehr traurig gemacht hatte. Doch später verstand ich sie, es waren ja Liebesbrief an Xela.

Einundzwanzig Jahre später lebe ich nun hier. Es ist als ob ein Traum wirklich geworden wäre. Und wirklich ist auch die Covid-19-Situation, die einen grossen Teppich über die Welt gelegt hat. Zu sagen, dass Xela sich nicht geändert hätte, ist also nicht möglich. Mit den Covid-19 Einschränkungen komme ich bisher gut zu recht, denn die sind, bis anhin, nicht so strikt. Vermutlich dank uneinheitlicher Weltbilder und mangelnder funktionierender Zivilorganisationen. Vielleicht auch dank fingierter Zahlen und ungenügenden Statistiken. Das soll mir Recht sein. Denn auch wenn Statistiken in vielen Belangen einigen Nutzen und Erkenntnis bringen mögen, so "glaube" ich nicht an die Statistik. Und werde nicht gerne von Zahlen regiert.


Galileo Galilei - wissenschaftliche Vorstellungswelten und Religion. Danke an duda.news

Für mich ist Wissenschaft ein Weltbild wie jedes andere - wenn auch ein sehr wirkkräftiges - und selbst von einem Glauben zu sprechen durchaus angebracht. Die Reaktionen auf eine solche Aussage sprechen eine deutliche Sprache. Die Idee, dass wir dank einheitlicher Weltsicht, basierend auf Zahlen und globaler Organisationen eine gerechte, gesündere, und funktionierende Welt erreichen könnten, ist meiner Meinung nach unsinnig, auch wenn ich den Bemühungen um Gerechtigkeit nichts entgegenzusetzen habe. Doch manchmal kommt es mir vor, als würde man die dynamischen Bruchstellen zwischen tektonischen Platten mit Betonverbindungen ruhigstellen wollen.

Da ich nun diesen "Bericht" gefühlt das x-te Mal neu schreibe, und weiss, dass das wichtigste vermutlich Bilder und konkrete Lebensbeschreibungen sind, beginn ich damit: es ist klar, dass das Zentrum, warum ich hier bin, Vivian ist. In ihr verbindet sich alles.


Vivi und Jorgito, Anfangs Dezember 2019 auf der Terrasse der "Cafetera", unser Lieblingstreffpunkt (ist geschlossen)

Ich kenne sie - wie einige andere - seit 21 Jahren. Vor 16 Jahren haben wir - damals unter dem Dach der Schule ICA, im Rahmen von ICAmigos, ein Schulprojekt zusammen gemacht. Wir reisten zusammen in dieses Dorf - sie als Koordinatorin und ich als Geldgeber - und lernten die Schule, die Kinder, die Lehrer, Eltern und auch eine Familie kennen, und erhielten Einblicke in ländliche Lebensbedingungen.

Seit damals sind wir in Kontakt geblieben, und haben immer wieder kleinere Projekte zusammen gemacht. Die "arme" Guatemaltekin und der "reiche" Schweizer. Was uns immer verbunden hat ist die verzweifelte Suche und die Träumerei, und Xela, sie ist eine unverbesserliche Quetzalteca (Xelajú!). Und immer wieder auch Scham. Wegen zuwenig Geld, oder wegen zuviel, die "Kakerlake" und der "Dinosaurier". Und dabei sind wir uns immer näher gekommen. Und wir sind daran, einen Weg in diesen Widersprüchen zu finden.


Vivian - mir gegenüber - im leeren Patio der vormals betriebsamen Schule Celas Maya. Der Versuch, eine Schule des Lebens aufrechtzuerhalten.


Seit Mitte März 2020 steht alles still. Die etwa 40 Menschen, die mal an diesem Ort gearbeitet, gelernt und Leben geteilt haben, bleiben zu Hause. Die LehrerInnen sind entweder arbeitslos, haben sich in ihre Familien zurückgezogen, oder arbeiten noch wenige Stunden online. Einige haben eine neue Arbeit gefunden. Die Studenten sind irgendwo zu Hause. Alle warten, bis Covid-19 vorbei ist. Und was dann? Die Schule wird wohl eine andere werden.


Die Wochenplanung ist leer. Mit manchen dieser LehrerInnen habe ich schon eine oder mehrere Wochen intensives Lernen und Leben verbracht. Mit ein paar würde ich gerne noch lernen, und ihre Welt kennenlernen, so zwei Zeuginnen Jehovas. Ob das je möglich sein wird, ist jedoch fraglich.

Vivian und ich arbeiten wenn möglich an zwei Morgen pro Woche in der Schule. Obwohl wir ja kein formales Schüler-Lehrerin-Verhältnis mehr haben, arbeiten wir da, um nicht zu Hause bleiben zu müssen, auch weil Vivian immer wieder noch Koordinations- und Programmarbeiten hat, im Moment nur noch für ein Universitätsprogramm mit der amerikanischen Saint John's University in Minnesota, das jedoch vollständig virtuell stattfindet, und bald zu Ende gehen wird. Zudem ist da immer noch auch der Traum, diese Schule irgendwie noch wieder zum Leben zu erwecken. Für uns beide ist sie etwas Heimat geworden.


Celas Maya 2019, kurz vor Fassadenrenovation Anfangs 2020. Doch auch die ist wieder am abblättern

Hier haben wir über Porno und den "lebenslustigen" Willi gesprochen, und oft laut gelacht, für einmal ein Vorteil, dass wir alleine da waren. Auch die Monterroso-Geschichten (Kurzgeschichten) sind hier entstanden. Zudem machen wir ab und zu einen Teil eines Cervantes-Sprach-Tests (A1 - C2), um meine Sprachkenntnisse zu überprüfen. Beim Ringen um die Sprache entstehen auch immer wieder Geschichten wie "Süsse sprachliche Erschütterungen". Oft recherchieren wir auch Informationen, so über die Mikroökonomie, das Zusammengehen von staatlichen ("europäischen") und indigenen Kulturen und Gesetzen, oder Kriminalstatistiken.

Neben Religionen, Kosmovisionen und den vielen Glaubensgemeinschaften sind das Themen, die mich, und oft auch sie, treiben. Dass das Altiplano von Guatemala immer noch von einer lebendigen Mikroökonomie bestimmt ist, das gefällt mir. Das liegt vermutlich an der etwas abgelegenen Lage in den Bergen. Xela ist ja nur durch die Hauptstrasse mit Guate, dem Tor zur grossen weiten Welt, verbunden, zudem ist diese oft verstopft. Ein öffentlich zugänglicher Flughafen gibt es - immer noch - nicht. So dass es fast keinen Flugverkehr gibt. Nur Regierungsbeamte, Journalisten oder reiche Unternehmer haben Zugang zu Kleinflugzeugen oder Helikoptern. Oder die Armee. Doch es scheint, dass viele derer amerikanischen Helikopter mangels Ersatzteilen oder Spezialisten am Boden liegen. So gibt es selten Tage, an denen es viel Luftverkehr gibt, und wenn, dann eben nicht ganz klar, ob da nun Journalisten oder Regierungsbeamte aus der Hauptstadt, Polizei oder Armee unterwegs sind, oder eben ein Reicher, der grad eines seiner Spielzeug ausprobiert. Doch das ist immer noch selten. Der Blick zum Himmel noch nicht verstopft.

Versuche, die Verfassung, staatliches Recht und indigene Gesetze unter einen Hut zu bringen, und auch mit Widersprüchen zu leben, interessieren mich naturgemäss sehr. Ein indigene Gesetzessammlung in Buchform zu finden ist jedoch gemäss Fernando, dem Bruder von Vivi, ehemaliger Strafrechtsanwalt und -immer noch- Rechtsprofessor an der staatlichen San Carlos, wohl schwierig zu finden. Vielleicht in Bibliotheken der Universität. Vor allem jedoch würde ich gerne mehr vor Ort, in indigenen Gemeinden erfahren, doch das ist zur Zeit schwierig. Das Projekt, eine Zeitlang in Zunil, oder Cantel zu verweilen, um da Sprache und Kultur kennenzulernen, ist nicht vom Fleck gekommen. Doch Bruchstellen und der Umgang damit bleiben für mich eine virulente Geschichte - verstärkt durch meine eigenen, und den vermehrten Aktivitäten zwischen drei tektonischen Platten, die hier in Guatemala zusammentreffen.


Xela bei Nacht. Gefährlich? Morde, Raubüberfälle, sexuelle Übergriffe werden immer wieder erwähnt.

Kriminalstatistiken sind sehr verwirrlich, vor allem immer auch wieder die Frage, was denn kriminell ist. Mich erstaunt es nicht, dass, wo es mehr Mauern als Menschen gibt, immer wieder solche gibt, die darüber steigen (müssen). Zudem habe ich eben auch nach 18 Monaten Guatemala noch keine eigenen Erfahrungen mit solchen Kriminellen gemacht.

Natürlich bin ich vermutlich blind, und verkehre nicht an den entsprechenden Orten, doch ich bin ein Träumer, und auch Bücher, wie "Law of Attraction" (Gesetz der Anziehung) finden bei mir Widerhall. Nicht, dass ich das für die letzte und einzige Wahrheit halte. Doch Kriminalstatistiken zu vergleichen ist etwa so, als wenn man die Tüchtigkeit, oder Reinlichkeit, von Menschen in verschiedenen Ländern vergleicht, ohne die Bedingungen genauer anzuschauen, oder überhaupt den Nutzen solcher Tugendabwägungen in Frage zu stellen. Doch wir wollen eben handeln und deshalb die Komplexität vermindern. Verstehen ist ja nicht unsere Stärke, vermutlich auch ausserhalb unserer Reichweite, da wir ja Teile und nicht unabhängige Beobachter eines grösseren Ganzen sind.


Puente Los Chocoyos, rechts das Graffiti mit dem so inspirierenden Text von Matilde Col Choc, und hinten rechts die Schule Celas Maya

Dass Vivi und ich jetzt oft zusammen sind, hat auch viel mit (unserer) Geschichte, mit Guatemala, und jetzt auch mit Covid-19 zu tun. Auch mit Xela, und einigen anderen Menschen hier. So ist es durchaus möglich, dass wir ohne Astrid nie hier an Ort zusammengefunden hätten. Mit Astrid hatte ich ein paar Monate Höhenflüge erlebt, so zwischen Don Quijote und den Strassen von Xela, und beflügelten Träumen. Sie ist nach ihrer eigenen Angabe unsere Puente (Brücke, zwischen Vivi und ich). Das hat etwas.


Pensión El Quijote. Namen von Geschäften beinhalten oft "Dios" (Gott) oder haben einen literarischen Hintergrund

Astrid habe ich jedoch seit meiner Ankunft nur einmal gesehen, als wir uns im Park trafen, mit Elizabeth, ihrer Tochter, und dann noch im Café Armonía eine Weile zusammensassen. Unterschiedliche Síchtweisen der Covid-19 Situation haben weitere Treffen bisher verhindert.


Mit Astrid in den Strassen von Xela unterwegs (2019)

Ihr Lebensraum ist jenseits der Hauptstrassen und Shopping Malls im Nordwesten der Stadt, wo sie in einer Gated Comunity leben, Mutter und Tochter. Zu Fuss dahin etwa eineinhalb Stunden, und selbst im Auto oft eine Stunde. So kommt sie nun - da sie ja nicht mehr in Celas Maya Präsenzunterricht gibt - nur selten ins Zentrum, obwohl sie nach eigenen Angaben selbst gerne hier wohnen würde. Es sieht so aus, als dass dies noch länger dauern könnte. Der Virus hat sich ja noch nicht beruhigt. Auch die Frage, was dieser Virus denn ist, und wie damit umzugehen ist. Daran scheitern sich die Geister, je nach Lebensbedingungen und Bildung, je nach Standpunkt.


Im Cementerio General, im Teil der Wohlhabenden (Plätze werden wie Grundstücke gehandelt), haben wir mit Mario und den Kindern früher mal Fussball gespielt. Jetzt ist dieser "Friedhof" geschlossen. Im Teil, wo die Gräber der Kinder und der "Armen" sich befinden (hinten), die da vorher manchmal auch auf den Gräbern ihrer Ahnen gepicknickt hatten, seien in letzter Zeit wegen Covid-19 Massengräber ausgehoben worden. Genaueres weiss man - oder ich - nicht.

Mario, meinen "ersten" Lehrer hier in Xela, habe ich immer noch nicht getroffen. Ich nehme an, dass er sich um seine Grossfamilie sorgt, und auch mit seiner Arbeit und Pendeln beschäftigt ist. Er hat lange Jahre für eine spanische Entwicklungsorganisation gearbeitet, mit dem Fokus Schulentwicklung, so ist er dann auch oft zwischen Xela und dem Quiché, einem überwiegend indigenes, ländliches Departament, hin und her gependelt war, um an konkreten Schulprojekten zu arbeiten, bis er dann sein Hauptquartier vermehrt in der Hauptstadt aufgeschlagen hat, wo er, soviel ich weiss, mehr Abstimmungssarbeiten zwischen ONGs und der Regierung macht.

Seit einiger Zeit trägt er sich mit dem Gedanken, selber eine lokale ONG in diesem Bereich aufzubauen. Er ist einer von dreien, die ich kenne, die im Bereich Schulentwicklung arbeiten. Seit langem denke ich daran, mindestens ein Projekt zu unterstützen, doch habe ich naürlich auch viele Fragen rund um Schule und Bildung. Covid hat dies alles nun zumindest verzögert. Wer weiss, wofür das gut ist, Covid kann ja durchaus auch helfen, um die richtige Distanz herzustellen. Covid ist ja ein kräftiges Kerlchen, und zu vielem fähig. Offensichtlich.

Auch Ana habe ich nicht mehr gesehen; der letzte Versuch vor einigen Wochen scheiterte, denn sie hatte Covid-19 Kontakt gehabt, war jedoch Virus- und Beschwerdefrei, und ich hätte sie gerne bei einem zu viert geplanten Essen - bei angebrachter Sorgfalt - dabei gehabt. Doch Vivian stoppte das aus Angst vor möglichen Kettenreaktionen. Was ich akzeptierte.


Blick auf Xela von der Casa del Prado, wo Erika, Vivi und ich - eben ohne Ana - essen gingen. Auch so haben wir es genossen.

Einige andere Leute habe ich noch nicht getroffen, die auch Teil der für mich anziehenden Dynamik von Xela gewesen sind. So zum Beispiel Enrique, der ehemalige Direktor der Schule ICA, dessen Baumschule zum Ziel hat, die Wiederaufforstung voranzutreiben. Diese Projekt hat er seit mehr als 20 Jahren nebenberuflich immer weitergetrieben.


Enrique (2019) beim Wässern der jungen Bäume in der Baumschule (Vivero), der von einem jungen Bauernpaar betreut wird (hier deren Tochter).


Tío Armando, Parkplatzwächter und Klatschpartner (Einer der Parqueos die nahe der Schule liegen)

Im Moment ist mein Beziehungsnetz eher ausgedünnt, was jedoch seine Vorteile hat, und Gott sei Dank auch immer wieder durch Begegnungen auf der Strasse, mit Parkplatzwächtern, Bettlern, oder Huren, oder wer auch immer, etwas aufgelockert wird. Auch habe ich kürzlich auf dem Heimweg vom Tanzlokal Hugo, ein ehemaliger Musikschuldirektor, getroffen, der seit Jahren einen Waschsalon mit seiner Frau Eva betreibt. Ein interessantes Paar.


Ecke in Xela, an der ich fast täglich auf dem Weg zu Erika's "bescheidenem Lokal" vorbeikomme. Rechts hinunter geht es zur Puente Chocoyos und zur Schule Celas Maya, links ausserhalb des Bilder liegt die Wäscherei von Eva und Hugo, und gradeaus zum Barrio Las Flores, ein lokales Marktzentrum, wo auch der Salón "Salsa Rosa" liegt.


Puente Los Chocoyos, eine der Brücken, die gebaut wurden, um bei Regen die Strasse, die zum Fluss wurde, zu überqueren. Das passiert heute selten, weil es Abwassersysteme gibt.


Diese Fussgängerüberführungen - hier die Puente de Piedra - sind durch grosse Fahrzeuge gefährdet.


Märkte - wie der Mercado Las Flores - sind zur Zeit ab 16 Uhr geschlossen, so dass zu meinen "Tanzstunden" hier am Abend eher Ruhe herrscht


Diagonal 12, "Salsa Rosa"  (grünes Haus links), und einer der seinen Rausch ausschläft.


Der "bescheidene Ort", Treffpunkt und Tanz, "Salsa Rosa". Die Hunde sind Teil davon.

Also neben Vivian und "Familie" spielt vor allem Erika und ihr "bescheidener Ort", ihr Tanzsalon, eine grosse Rolle. Meine "Freizeit" verbringe ich fast täglich bei ihr. Ja, immer noch will ich tanzen lernen, in jeder Form, und ihr Begegnungsort ist eine Insel zu Zeiten von Covid-19. Eine grosse Achtsamkeit mischt sich da mit Lebenslust. Und so manchem strikten Covid-19-Regeln-Einhalt-Verfechter würde es da vermutlich schwindlig werden. Doch oft ist es ja besser, wenn nicht alle alles wissen, denn das würde wohl niemandem wirklich helfen. (PS: Beim tanzen in Gruppen tragen wir immer Masken. Tanzbilder gibt es keine, da ich ja selber tanze)


Erika beim Hunde füttern oder Streit schlichten, wenn ein zweites Rudel mitmischt oder wenn einige Hunde sonst aufgeregt sind, um Rangordnungen wieder zu herzustellen.


Ja, Erika! Neben Vivian meine wichtigste Person hier. Sie ist die unbestrittene Platzmeisterin, Dompteurin, nach eigener Einschätzung ein meist liebenswürdiger Pitbull. Wie einige Guatemalteker sich mit einem Nahual (sowas wie Schutzgeist, z.B. der Maya) in Verbindung sehen, haben hier viele inzwischen einen passenden Hundecharakter, und keine Angst davor, sich auch als Tier zu sehen.


Eira, die langjährige Assistentin von Erika (eine "deutsche" Dogge!), sie vermietet die Zimmer hinter dem Tanzsalon, und auch gegenüber hat sie ein Haus gemietet, um Zimmer zu vermieten. Jetzt stehen die meisten Zimmer leer, nur die Parkplatzvermietung lässt sie im Moment überleben. Ich mache mich ab und zu über sie lustig, weil sie wie eine Gefängniswärterin einen riesigen Schlüsselbund mit sich herumträgt.


Veronica ist oft im Salon. Sie tanzt gerne, hat gerne Gesellschaft, und springt oft auch als Assistentin ein. Sie ist eine verspielte Tänzerin, nur wenn Vivian da ist, ist sie immer noch verkrampft, wenn sie mit mir tanzt. Das erste Mal, als ich sie zum Tanzen aufforderte, als Vivian dabei war, erschrak sie und errötete, und schaute Vivian fragend an. "Darf ich?". Ich versuchte ihr - etwas unbedarft - klar zu machen, dass sie nicht Vivian fragen müsse. Inzwischen hat sich die Situation ziemlich beruhigt.

Tanzen, tanzen, tanzen. Da kommt vieles zusammen. Viel zu lernen, viel Unsicherheit. Meine "Führungs"-Qualitäten gilt es zu verbessern - ich bin ja leicht verwirrbar - und das geht nur, indem ich lerne, mich führen zu lassen, mich ganz auf die jeweilige Tanzpartnerin einzulassen. Achtsamkeit und Selbstbewusstsein, wie gehen die zusammen? Ich weiss nicht, ob ich das alles jemals lernen werde, doch der Weg gefällt mir. Eben Tanzen, tanzen, tanzen. Wo und wie auch immer.


Was für ein Hund bin ich? Ein Saluki.

Zum Tanz gehört wohl auch, dass mir, um in den inneren Kreis der Tanz-Hunde zu gelangen, mir von Marie (Chihuahua) ein Rasse zugeordnet wurde, die mir nicht besonders gefiel. Alle lachten! Doch beim Lesen über diese Windhundrasse Saluki wurde ich wieder entschädigt, denn immerhin wurden diese Tiere von den Arabern bereits gezüchtet, noch bevor sie das mit den Vollblutpferden taten, zudem betrachteten sie diese als Geschenk Gottes (Allahs!).


Die Hunde legen sich auch oft auf dem Gehsteig gegenüber dem Tanzlokal zur Nachtruhe hin. Jeder hat seinen Platz.

Wenn ich an Xela denke, so denke ich immer auch an die Strassenhunde. Ohne die geht nichts. Zusammenleben Tier und Mensch. Vor allem auch Joya hat mir 2010 diese Strassenhunde näher gebracht. Es ist faszinierend, diesen zuzuschauen, wie sie Konflikte ausfechten und lösen, und wie sie oft aufeinander achten. Ich sehe nicht, dass wir Menschen das besser machen. Natürlich gibt es auch "schwierige" Hunde und immer wieder Situationen, in denen es zwischen einem Hund und mir etwas zu klären gibt. Doch bisher klappt das gut. Die Hunde sind ja selber gewohnt, den Platz zu teilen. Sind ja Strassenhunde, keine verwöhnten und oft auch allein gelassene Haustiere, die mir eher Sorgen machen.


Eingesperrte Hunde, kurz vorher sind sie fast ausgeflippt, und haben mich angekläfft. Solche Hunde, mal draussen, sind oft "gefährlich".


Abendstimmung im Barrio Las Flores. Auf meinem Heimweg vom Tanzen.

Fast immer wenn ich vom Tanzen komme, bin ich zufrieden. Mein Tag geht langsam zu Ende. Oft rauche ich noch eine Zigarette auf dem Heimweg, dann natürlich ohne Maske. Diesem Auto begegne ich fast täglich, die Strasse dahinter ist fast schon ein Autofriedhof. Man macht sich so seine Gedanken. Doch irgendwie gefällt es mir. Vermutlich etwas merkwürdig. An dieser Strasse liegen auch manche Autowerkstätten, so auch diejenige mit dem Hund, mit dem ich jetzt seit Wochen Platzgefechte ausgetragen habe. In der Zwischenzeit ignoriert er mich schon oft, nur noch selten beäugen wir uns skeptisch und weichen uns sorgfältig aus. Es scheint, als hätte er mich akzeptiert. Das freut mich.


Auch auf dem Heimweg. Immer wieder Motorräder, meist sehr achtsam. Gefahren sehe ich wenige.


Auch diese Strasse liegt auf dem Weg, hier am Tage. Hier wird gebaut, das kann etwas dauern. Die Steine werden einzeln entfernt, und die Löcher noch meist von Hand gegraben. Abfall gibt es sozusagen nicht. Auch Lastwagen und Asphaltierungsmonster sind keine in Sicht (wie kämen sie dahin?), der Baulärm hält sich sehr in Grenzen. Nur Geduld ist gefragt. Doch als Fussgänger kann man sich diese Geduldsarbeit ersparen.

Fast schon liebe ich solche Baustellen. Und sie dürfen ruhig auch etwas gefährlich sein. Auch Verkehrssituationen, die noch nicht perfekt geregelt sind und deshalb noch weniger Platz brauchen. Warum sollen Autos, Velos und Fussgänger getrennt werden?


Immer wieder regeln "Arbeitslose" (z.B. ein Honduraner), oder ein "Behinderter" den Verkehr. Sie machen das mit viel Umsicht, der Verkehr fliesst, und sie werden geschätzt und respektiert. Und sie freuen sich, wenn sie etwas Geld erhalten.

Ach Gott, natürlich sehe ich den Sinn von Gehsteigen und Velospuren ein, bin ja nicht auf den Kopf gefallen, und habe manches in der Schweiz geschätzt, und auch nach Dänemark geschaut. Doch bin und bleibe ich eben ein Fussgänger, weil ich die Nähe brauche. Auch weil selbst der Besitz eines eigenen Velos für mich eine Belastung ist. Zudem machen geteilte Velos und Autos für mich mehr Sinn - ein geteilter Lebensraum. Doch der ist ja durch Covid-19 und unsere Sicht der Welt nun noch klarer zu regeln und aufzuteilen. Denn sonst entsteht ja Reibung, und solch unerwünschte "Reibungsverluste" sind nur mit einer sauber geregelten Organisation zu vermeiden.


Saubere Lösung. Meine vormals als Gasolinera de Amor benannte Tankstelle um die Ecke wurde generalüberholt. Perfekt. Jetzt ist innen alles grau in grau, sauber geordnet und entschlackt, und meine Lieblingsfeuerzeuge mit Peacezeichen und anderen farbigen Geschichten sind durch billige Werbefeuerzeuge ersetzt worden (derselbe Preis). Anordnung der Marketingabteilung. Mindestens dem einen Angestellten gefällts, und vermutlich auch den Autofahrern.

Zu Fuss trifft man noch so einige Leute, wenn auch nicht immer die der eigenen Wahl. Doch auch nur "eigene Wahl" scheint mir eine etwas dürftige Lebensstrategie zu sein, denn so bewegt man sich immer im gleichen oder gleichen Kreise(n). Na, klar, auch das Geschmackssache, dem habe ich nichts entgegenzusetzen. Wer will nicht schon Nähe. Halt Nähe zu dem, war sie oder er (oder so) liebt.


Beim "Abstieg" in mein Quartier. Ich liebe diese Sicht. Kathedrale, der Baúl, "Worte", meine Welt. Auch, weil die Aussicht auf ein heisses Süppchens mich erfreut, das mir Doña Carmen fast jeden Abend noch zubereitet. Auch wenn ich mal später komme. Doch bin ich meist spätestens um 8 zu Hause, weil ich mich ja auch bald zur Ruhe begeben möchte. Langsam bin ich dann ja müde, nicht nur mein Kopf.

Dieser Text ist schon wieder lang geworden, doch es fehlt noch manches. Geduld oder Neugier sind gefragt. Einfach in der Fundgrube weiterstöbern, oder es lassen.


Meine Strasse, die Gemüseverkäuferin früher am Tag gleich unten an der rechten Ecke, und Huren, am Tag und in der Nacht. In unmittelbarer Nähe auch Tiendas, Sastres, Librerías, Abogados, Apotheke, Spital, Collegios, Handgemachte Schokolade, Wäschereien, Tortillerias usw. Zum Centro Comercial und Parque Central, 3 Minuten, Tanzsalon 10 Minuten, wie auch zu Vivi und dem Parque Simón Bolívar, einfach in die andere Richtung, Richtung Baúl.

Es ist klar, dass ich ohne Vivian und Erika, aber eben auch doña Carmen und meine Familie hier - vor allem zu diesen herausfordernden Zeiten - wohl kaum einen "sicheren" Boden unter meinen Füssen hier in Xela gefunden hätte.


Mein Fenster auf die Strasse. Meine Sicht beim Yoga praktizieren oder Fenster öffnen. Gitter überall. Im Zimmer schlafe ich und lese, oder eben Yoga, am Mittwoch mit Vivian zusammen.

Wie ich schon beschrieben habe, lebe ich hier wieder in einer Familie, wie immer in Guatemala. Ein Gedanke, der in der Schweiz absurd wäre. Ja, absurd. Ein Zimmer in einer Gastfamilie, das suchen nur verlorene Hinterwäldler, so wie mein damaliger innerschweizer Chef, der ein Wochenaufenthalter war, der bei seiner Mutter lebte, und unter der Woche in der Stadt arbeitete, und das viel, und wir zeitweise fast wie das Leben teilten, Nachtessen gingen und wir über das Leben sprachen. Das hatte mir sehr gefallen. Leben und arbeiten, nicht getrennt, sondern alles immer zusammen. Daran habe ich mich mein Leben lang gehalten. Was hat denn Arbeit sonst für einen Sinn? In der Schweiz gibt es zudem wenige, die das Geld einer Untermiete auch noch brauchen würden.


Doña Carmen kocht meine Mahlzeiten, wäscht meine Wäsche, und schneidet mir sogar die Haare, und das perfekt. Bisherige Versuche, meine Beteiligung am Haushalt etwas zu erhöhen, verlaufen etwas harzig. Ich trage jedoch einen rechten Teil zum Haushaltsbudget bei. Wir hängen voneinander ab, eine etwas veraltete Einrichtung. Bisher klappt das gut, auch wenn wir nicht in allem einig sind. Doch weinen und lachen hilft immer. Mehr zu meinem Familienleben


Flori ist die Muchacha, die Haushaltshilfe seit 14 Jahren. Huipil und Corte sind auch Alltagskleider. Sie ist Mutter von zwei Kinder und lebt in einer Familiengemeinschaft von 15 Personen etwas ausserhalb. Während deren Essen sitzen die Männer dort am Tisch, Frauen und Kinder am Boden. Eine andere Welt, und vermutlich "richtig", dass sie beim Mittagessen nicht an unserem Tisch sitzt. Welten stossen aufeinander, aber bereichern sich auch.

In der Schweiz ist alles ein bisschen anders, da ist ja jeder selbständig, und unabhängig. So mindestens die Mehrheit, die den Geist bestimmt. Na, ja, bestimmen ist vielleicht nicht das richtige Wort. Bestimmen tut ja das Leben, oder soll ich - etwas einfältig - Gott sagen? Ui, manchmal ein richtiges Wespennest! Denn darüber, was Gott ist oder sein sollte (oder ob überhaupt), da werden wir uns wohl - zum Glück - nie ganz einig werden. Wer will sich denn schon den direkten Kontakt zu "Gott" nehmen lassen :-) Und mein "Gottesbild" ist ja eher ein "oportunistisches", abhängig davon, in welches Gesicht ich grad schaue, was ich sehe und höre, was mein Magen grad verdaut, und über welche Erde ich schreite.


Es gibt mindestens vier solcher Familien-Läden, innerhalb von einer Minute zu Fuss. Sie verkaufen das Wichtigste des täglichen Lebens, auch Telefonminuten oder Bier und Schnaps, so dass sich manchmal hier ein paar Leute versammeln.


Auch die Papeterie oder Librería gibt es gleich um die Ecke


Anwaltskanzleien (meist auch Notare) gibt es wie Sand am Meer.


Apotheken gibts auch in Hülle und Fülle. Auch hier vertraut man auf schnelle Wirkung. Nebenwirkungen inbegriffen.


Früchte und Gemüse werden immer wieder direkt ab Pickup verkauft (gleich um die Ecke)


Die Tienda wo ich oft meine Zigaretten oder Zahnpasta kaufe, auf dem Weg zur Casa de Yoga oder zum Cajero 5B, wo ich bis vor kurzem noch mit meiner Kreditkarte Geld beziehen konnte. (Im Moment geht da gar nichts mehr)

So gibt es hier noch viele Tiendas, die nur funktionieren, weil Familien - vermutlich alle Indigene - zusammen arbeiten und leben. Vorne der Laden, hinten vielleicht gleich Küche und Schlafzimmer. Arbeit und Freizeit sind noch nicht getrennt. Sie sind von frühmorgens bis spätabends offen. Auch während der Messe, die heutzutage ja nicht stattfindet, denn gar Jesus würde heute eine Maske tragen, und soziale Distanz wahren, wie mir das jemand mal gesagt hatte. Ja, so kann man es offensichtlich auch sehen.

Covid-19 bestimmt also auch mein Leben. So laufe ich viel weniger als sonst, denn einige Menschen, die ich kennen und schätzen gelernt habe, sehe ich noch nicht, oder wenig. Da sind Gross- oder Kleinfamilien zu schützen, oder gar Bergregionen und -Siedlungen vor von achtlosen Touristen eingeschleppten Viren, sorgfältig aufgebautes Leben, zu bewahren. Ja, wenn immer ich mich da hineinversetze, kann ich es gut verstehen. Und vor allem sehe ich, dass ich viel zu lernen habe. Auch ich werde bestimmt von Gedankengebäuden, auch wenn diese von manchem als wirr bezeichnet würden.


Auf dem Weg zur Schule. Schlanke Verteilorganisationen. Ein Bündel Zeitungen (Prensalibre) frisch ab der Presse auf dem Kopf

Eine Geschichte, die mich immer wieder beschäftigt, ist die mit dem Kamel und dem Nadelör aus der Bibel. Das Nadelöhr, durch das eher ein Kamel als ein Reicher ins Himmelreich gelangen kann. In der Zwischenzeit ist "Reichtum" für mich ja schon lange ein weiter gefasster Begriff geworden. Also auch reich an Überzeugungen, oder Plänen, oder sogar Wissen. Doch wenn ich dann glückliche Generationenbilder und die Geschichten, die sie verbinden, sehe, dann ja, dann finde ich das auch sehr schön, und kann es verstehen. Doch die Überzeugungen sind bei mir immer noch andere, auch wenn sie immer wieder abblättern. Und ich kann mir Leben ohne Überzeugungen, aber auch ohne dieses Abblättern einfach nicht vorstellen. Erosion und Bergstürze sind auch für geistige Überzeugungen unvermeidlich.


Eine der vielen Mauermalereien in Xela, bei mir "gleich um die Ecke", 9 Avenida Zona 1


Casa de Yoga - Gästehaus und Gemeinschaft, dezidiertes Yoga - 3 Minuten von "meinem" Haus.

Wenn ich an Yoga denke, dann denke ich an Leben, nicht an ein angesagtes Yogastudio. Auch nicht unbedingt an definierte und genau auszuführende Asanas, auch wenn ich mich dank Kevin, meinem lokalen Yogalehrer, darum eifrig bemühe. Unsere Zusammenarbeit ist wohl nur möglich, weil wir uns hier in Guatemala getroffen haben, und weil ich dank Covid-19 begünstigten Einzelstunden nicht einer Mehrheit hinterherrennen muss, die ich nie erreichen werde. Wir trinken zusammen auch Kaffee, und seit kurzem beziehe ich den auch von ihm, von dessen Freund, der in Huehuetenango eine Kaffeefinca hat. Wir teilen zudem die Liebe zu Xela, auch zu den wilden Gehsteigen (Yogapraxis!).

Wir sprechen oft über Ideal und Wirklichkeit. Er ist nach 20 Jahren Xela immer noch entrüstet, dass manche Guatemalteken sehr spät oder gar nicht zur Yoga-Stunde erscheinen, und auch darüber, dass Menschen sich nicht an Covid-19 Regeln halten. Das ist ein Problem, das sehe ich ein. Ich bleibe als Schweizer auch weiterhin sehr pünktlich, einfach Teil meiner DNA. Doch sonst lasse ich mich oft auch treiben, und bin flexibel, auch wenn ich gerne einen Rhytmus habe.


Blick aus meinem Fensterzimmer in den Innenhof. Hier erwache ich zum Tag, und schreibe meine Texte

Und diesen Rhythmus habe ich ja. Ich stehe früh auf, wie schon immer in den letzten Jahrzehnten. Bevor der Tag erwacht. Diese Zeit ist auch wichtig für mein Schreiben, und meine oft schnellen oder manchmal allzu ausführlichen Antworten per Mail, oder WhatsApp. Ich gelte als zuverlässig. Zuverlässigkeit ist die einzige Tugend, die ich kontrollieren kann. Von Liebe und Wahrheit habe ich im besten Falle manchmal eine Ahnung. Zwar tausend Ideen, aber keine Pläne, die mir ein besseres Leben versprechen würden. Ausser vielleicht (meine) vorgefassten Meinungen etwas durcheinanderzubringen, und auch das nur, weil ich mein Inneres und Äusseres immer ins Gleichgewicht zu bringen suche, also mein Durcheinander halt, wie andere anderes, gerne teile. Dynamisches Gleichgewicht ist mir wichtig. Das braucht auch "Opfer", denn Gleichgewicht beansprucht einen Raum, der nicht an meiner Haut Halt macht.

Gegen 8 Uhr ruft mich Doña Carmen "Don Jorgito, ven(ga) a desayunar!". Mosh oder Avena (dünner Haferbrei), Früchte, und zum Beispiel einen French Toast (Toastbrot im Ei gebraten). Damit "beginnt" mein Tag. Gegen Abend wird mein Leben von Montag bis Freitag vom Tanz und Klatsch bestimmt. Am Samstag Morgen Yoga (diese Woche ausgefallen wegen "Covid-19-Fällen im Umkreis"). Und natürlich immer wieder Vivian, mit der ich auch schon eine gewisse Regelmässigkeit gefunden habe. Zwischen Familien- und Arbeitsverpflichtungen, Mittagessen, und anderen Ritualen. Zudem werden auch die Strassen, die ich durchlaufe zum Teil meines Taktes. Da sehe ich immer viel, was mich zu Gedanken anregt, und immer wieder erfreut. Hier Eindrücke, die auch viel mit meiner Liebe zu Xela zu tun haben.


Geschichte von Farben, von Anstrichen über die Jahre, die abblättern. Kunst des Alterns.


Strassenimpression auf meinem Heimweg vom Parque Simón Bolívar, wo ich Vivian oft treffe. In "ihrem" Haus bin ich ja immer noch nicht willkommen. Covid-19 und komplexe Familienverstrickungen bestimmen.


Ein anderer Blick auf dieselbe Strassenkreuzung. Mehr Hunde als Menschen sind unterwegs. Sie schlafen in Türeingängen oder auf Gehsteigen. Nur selten muss ich mich mit einem etwas näher auseinandersetzen. Und die Gehsteige die ich - zum Entsetzen mancher - einfach liebe. Gründe dazu finden sich in meinem Text "Die Blume und der Gehsteig".


Abendstimmung im gleichen Quartier


7 Calle, auf der Suche nach Schnürsenkel, die ich dann in der grössten Peleteria (Leder, Sohlen, Fäden usw., einfach alles, um Schuhe herzustellen oder zu reparieren) fand. Unglaublich, was es da alles gibt! Es gibt ja noch einige Schuhputzer und Schuhmacher.


Neue und gebrauchte Werkzeuge, Reparatur von Schreibmaschinen. Schön! Doch Vivian lachte. Auch hier sind Schreibmaschinen aus der Mode geraten.


Elektromechanische "Klinik" in der 3 Calle


Hutmacher. Oft sind Geschäfte mit handgemalten Grafiken oder Schriftzügen gekennzeichnet. Sehr schön.


Mecánica, typische Autowerkstätte, hier werden auch noch 70 jährige Autos locker zum fahren gebracht. Moderne Autos werden diese wohl aus den Quartieren verschwinden lassen.


All die vielen Wandmalereien, eine öffentliche "Galerie" über die ich mich immer wieder freue.


Inspirierende Texte in Form von Grafitti. (Tod, eine unerwünschte und verbotene Frucht, oder willkommen heissen?)


Poesie an verfallenden Mauern, "Poetische Aktion Quetzaltenango" ("Alle Liebe ist Stille")


Xela ist in vieler Hinsicht ein Dorf geblieben, eine Gasse mit lokalen Läden in der hügeligen Altstadt


Ein enge Gasse gleich oberhalb der Kathedrale

Doch Xela ist eben an einigen Orten auch “moderner” geworden. Heutzutage werden neueste Sparlampen mit modernen Hebebühnen montiert, die Arbeiter gesichert mit Sicherheitsgurten und Helmen. Auch Reparaturarbeiten und Wasserausfälle werden nun öfters angekündigt, so dass man die Pila, die in fast jedem Haus noch steht, noch mit Wasser füllen kann. Doch das kann dann alles etwas länger dauern, manchmal Tage, und es erstaunt auch nicht, wenn auch die Stromversorgung - vielleicht als Folge dieser Arbeiten - ausfällt, oder weil vielleicht jemand an den offenen Stromleitungen hatte etwas Strom abzapfen wollen.


Welcher komische Kerl liebt denn noch solch offen liegende Strom- und Telefonkabel? Jürg! dafür nehme ich Strom- und Internetausfall ab und zu gerne in Kauf. Ja, das versteckte, das unter dem Boden versorgte, das macht mir Angst. Bald wird man da keine Schatztruhen mehr finden können.

Auch die Shopping Centers breiten sich eben aus, und manche Leute streifen am Sonntag zwischen den Gestellen herum, ohne jedoch etwas zu kaufen. Sonntagsausflug mit dem Geruch nach Fortschritt und vielen Möglichkeiten. Das ärgert wiederum andere, die einfach einkaufen wollen. Ich verstehe sie, beide - nicht. Für mich liegen die Möglichkeiten vor der Tür, obwohl ich ja dann manchmal auch Parmesan, oder gar einen Schweizer Käse, oder einen Arborio Reis an solchen Orten einkaufen gehe. Auch eine Yogamatte fand ich nur in der Pradera.


Das alte Centro Comercial, gleich unterhalb der Kathedrale


Aussenansicht des ersten "Einkaufszentrum" von Xela

Eine kleiner Laden steht da dicht neben dem anderen, mit Gemüse und Essständen am Rande oder im untersten Stock, ist also eher ein klassischer Markt, einfach auf mehrere Stockwerke verteilt, die mit einer Fussgänger-Rampe verbunden sind, die von oben nach unten (oder umgekehrt) verläuft. In diesem alten Centro Comercial sind auch die Indigenen, wie so oft im Kleinhandel (oder auch in grösserem), dominant. Típicas und Artesanales sind gut vertreten, die nicht nur an Touristen verkauft werden. Diese Kultur ist - noch - lebendig.


Ess- und andere Marktstände rund um das alte Centro Comercial am Rande des Parque Central

Inzwischen gibt es natürlich auch moderne Einnkaufszentren und Bürogebäude in Xela, die einen Blick in eine mögliche Zukunft werfen lassen.


Links die Pradera, Einkaufszentrum der "oberen Mittelklasse". Rechts noch die klassischen Händler und Grossisten, die gleich neben dem Busterminal und Markt stehen. (Andere Bilder sehen nicht viel schöner aus!)


Bürogebäude neben dem Parkplatz der Pradera. Wohl mancher möchte hier arbeiten. Moderne Büroeinrichtungen, Klimaanlagen, Aufzüge, und - wer weiss - vielleicht auch ein Fitnesscenter, und dank Generator garantierte Stromversorgung und Internetverbindung.


US-Amerikanische Ladenkette Walmart im Centro Comercial Pradera. Vor allem billige US-Waren, aber auch Wein, Parmesan und Yogamatten. Und Komfort und "Sicherheit" in Zeiten von Covid-19.


Das Interplaza. Das wohl luxuriöseste Centro Comercial. Hier findet man bestimmt Armani, Boss, Victorias Secret usw. So werden in Zukunft Reisende - falls es die noch gibt - sich überall wohlfühlen können, weil sie ja - wie im Komforthotel einen Fernseher oder Kühlschrank - immer auch das vorfinden können, was sie auch zu Hause gerne um sich haben.


Centro Comercial Utz Ulew und Cinepolis, modernes Einkaufs- und Vergnügungszenter nahe des Zentrums von Xela

Von Wolkenkratzern kann man in Xela noch nicht sprechen. Das höchste Gebäude ist vermutlich das "Hochhaus" mit Büro und Geschäftsräumen, das neben dem Centro Commercial Utz Ulew steht, ein modernes Shopping-Center, in dem auch die Kinosäle von Cinépolis zu finden sind.


Stände und Läden rund um den Markt La Democracia (Shopping-Center "Utz Ulew" im Hintergrund)

Eine moderne und fortschrittliche Infrastruktur, in unmittelbarer Nachbarschaft mit dem grossen Markt La Democracia und den unzähligen Kleinläden und Strassenhändlern, die trotz dieses "modernen" Betonblockes die Umgebung noch sehr lebendig erhalten.


Alles findet man hier: Eisenwaren, Elektrisch, Adapter, Haushaltswaren, Kleider Second-Hand aus USA, Papeterien, Kopierer, Möbel, und vor allem viel frische Esswaren. (Hintergrund: wie oft der Vulkan Santa Maria)


Gemüse, Gemüse, Gewürze, Salate, eine vielfalt von Früchten, Fleisch, Nüsse, und viel mehr. Es gibt immer noch viele, die diese Nähe suchen oder sie aus Kostengründen in Anspruch nehmen müssen. Die "aufgeklärteren" Menschen fahren mit ihren Autos in die grossen Shopping Malls - mehr noch zu Viruszeiten - wo sie meist einen Parkplatz finden, und die Sicherheit und Sauberkeit, die sie suchen, gewährleistet ist.


Ein altes Haus aus Kolonialen Zeiten, dass das Erbeben von 1902 überstanden hat (hinten die Moderne)


Auch die kleinen Läden werden renoviert, doch die ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen werden sie wohl zum Verschwinden bringen. (Hinten moderne profitable "Batterie-Hühnerhaltung")


Ein Stil - vermutlich 30-50-Jahre (Art Deco) - hat sich in Xela an vielen Orten durchgesetzt (mir gefallen sie), da Erdbeben (z.B. 1902 Cerro Quemado) viele Häuser zerstört hatten.


Parque Benito Juarez, neben dem Markt La Democracia

Hier gibt es oft noch Prediger, die die Aufmerksamkeit der Menschen auch immer wieder erreichen. Hoffnung ist ja ein beliebtes Gut, vor allem wenn es an Geld für anderes mangelt.

Im Übrigen ist Xela noch ziemlich gleich geblieben, seitdem ich das erste Mal 1999 hier ankam, auch wenn manches "besser” geworden ist. Es wird immer noch viel über Verbrechen und Korruption gesprochen, doch die Stimmen, die mich davor warnen, in der Nacht zu Fuss durch die Strassen von Xela zu ziehen, sind stiller geworden, oder erreichen mein taubes Ohr halt kaum, wie Vivian provozierend meint. Doch auch Soldaten mit einsatzbereiten Maschinenpistolen sieht man viel weniger. Wenn, dann eher innerhalb von Banken oder Orten, wo viel Umsatz gemacht wird, wo es eben Besitz zu verteidigen gibt.


Teatro Municipal (Stadttheater) mit Blick auf die Stadt, auf dem Weg vom Markt La Democracia runter in die Altstadt


Einer der vielen Wege hinunter in die Altstadt (Zona 1).


Die "Pasaje Enrique" ("Kopie der "Galleria Vittorio Emanuele II"), mit einigen Restaurants und Bars unter Glasdach, eine immer noch sichere Nummer, die "Bar Tecún"


Parque Central und Kathedrale, seit kurzem sind die grössten Pärke und der Hausberg El Baúl für die Menschen gesperrt, um Ansammlungen zu vermeiden. Sie sitzen nun einfach ausserhalb der Abschrankungen umso enger zusammen.

Xela ist das Zentrum des Hochlandes. Zu normalen Zeiten kommen immer sehr viele Indigene Händler in die Stadt, um Lebensmittel, Textilien und Handwerkliches zu verkaufen. Vor allem auch an den vielen Festtagen. Das umliegende Land ist weit herum immer noch klein-parzelliert, die klassischen Milpas (Mais, Frijol, Kürbis) bestimmen das Leben, viel Handarbeit und auch oft wird von nachhaltiger Landwirtschaft gesprochen. Einen Traktor habe ich bisher noch nicht gesehen.


Almolonga und Zunil liegen südlich von Xela, und sind wichtigee Gemüseproduktionsstandorte. Hier gibt es zum Teil schön grössere Felder, und auch Bewässerungsanlagen haben ihren Weg hierher gefunden.


Oberhalb Zunil liegen auch die Fuentes Georginas, ein Heisswasser- und Heilbad, das in den letzten Jahren rundum erneuert wurde. Weil wir da in einer Cabina übernachteten, waren wir vom späteren Nachmittag bis am nächsten Morgen fast ganz alleine. Hatten die "piscinas" zu unserer Verfügung.

Xela ist nicht nur ein wichtiger Handels, Landwirtschafts- und Produktionsstandort, sondern auch ein Zentrum von Bildung. Hier gibt es unzählige Colegios, und sieben grössere Universitäten. Die öffentliche, San Carlos, aber auch viele private, wie die Rafael Landívar ("Katholisch") oder die Mesoamericana ("Humanistisch"), die Panamericana ("Christlich"), die Universidad de Occidente ("Modern"), oder die Francisco Marroquín ("Freie Marktwirtschaft"), also unterschiedlichste Interessengruppen. Zu den beliebtesten Disziplinen -vor allem in "besseren" Kreisen- gehören Medizin, Rechtswissenschaft oder Ingenieurwissenschaften, wenn auch Psychologie, oder Design usw. viel Interesse finden. Nichts ungewöhnliches also.


Universidad Landívar, nahe am Stadtzentrum

Vor allem reichere Leute scheinen mit der öffentlichen Universität nicht viel am Hut zu haben, diese war ja lange sehr "links" engagiert, was heutzutage nicht mehr so klar ist, denn, wie überall, hat links an Orientierung verloren. Doch nach wie vor ist es die anspruchsvollste Hochschule, so dass mancher ja auch deshalb lieber an eine Private geht, weil da eine Ausbildung einfacher zu haben ist. Das kostet jedoch Geld, und wenn man keine Familie hat, die bezahlen kann und will, oder ein Stipendium erhält, dann bleibt man halt auf der Strecke. Nun, ja, auch da gibt es ja dann Leben, auch wenn über dessen Intelligenz ja immer wieder gestritten wird. Doch soweit ich es sehe, hört Intelligenz ja nicht an der Schädeldecke auf, unabhängig vom familiären Hintergrund.

Nur noch etwas... auch ein Fundgrube-Text will abgerundet sein!

Anna (meine Briefempfängerin!) hat mich einmal gefragt, nachdem ich ihr einiges schon erzählt hatte, ob denn Xela nicht so schön sei? Ich verstand ja gleich, was sie meinte, denn meine Beschreibungen sind halt oft für viele zwiespältig, ja, widersprüchlich! Hier also zum Schluss ein paar Eindrücke, die die Schönheit von Xela hoffentlich noch etwas verständlicher machen.


Viele verschiedene Stile von Häuser gibt es. Linkerhand ein "Denkmal" (auch Art Deco), an die Familie Gutierrez. Ein Beispiel von reichen Grossgrundbesitzern und Unternehmern, die auch heute noch das Land "bestimmen", und zeigen wie nahe "gut" und "böse" liegen. Auch Nutzen und Gefahren von Stiftungen. Rechts das Bavieras, ein Café, dass bereits vor 21 Jahren da war.


Das Café Bavieras. Hier habe ich mich schon mit vielen getroffen, auch mit Joya, vor allem aber mit LehrerInnen, wie kürzlich der junge Joel, und immer wieder mit Vivian, hier haben wir an so manchen Geschichten gearbeitet, so zum Beispiel "Eine gemalte Geschichte".


Jürg beim bewundern des Patios eines herrschaftlichen Hauses (heute Regierungssitz des Departamentos Quetzaltenango), und eines Lebens voller Widersprüche

Quetzaltenango ist eine alte Stadt. Die erste grössere Siedlung entstand hier (1524), nachdem der aus Mexiko kommende spanische Eroberer Pedro de Alvarado mit seinen Verbündeten eine entscheidende Schlacht gegen die hier lebenden Quiché (Mayas) gewonnen hatte. In 19. Jahrhundert wurde Xela auch kurz unabhängig, Hauptstadt des Sechsten Staates Zentralamerikas, der auch Teil von Chiappas (Mexiko) umfasste. Und immer wieder wird Xela auch vom Zentralamerikanischen Parlament zur Hauptstadt Zentralamerikas bestimmt (unter anderen). Und würde es denn Sinn machen, solche Hauptstädte zu bestimmen, dann würde Xela sicher eine gute Wahl sein, aus meiner Sicht die Beste :-)

Ohne Zweifel ist Xela eine historische Stadt, die jedoch nicht - wie Doña Carmen meint - 500 Jahre im Rückstand liegt. Xela ist im 21 Jahrhundert angekommen, nur eben etwas anders. Für mich eine Stadt der grossen Hoffnung, des Zusammenlebens von verschiedenster Kulturen, wie Mayas und die "Europäer", auch von Religion und Wissenschaft. Auch verschiedenen Lebens- und Todesvorstellungen. Voller Möglichkeiten, Weichen zu stellen, und "Fehler" des Nordens vielleicht nicht zu wiederholen. Ob das gelingt, das wird sich weisen. Es ist eben (auch) ein Labor der Menschheit! Und dass "Junge" es anders sehen können als ich, das zeigt dieses Video vom "anderen Xela", das ich auf der Suche nach einem Musikvideo gefunden habe, "Ciudad muy bonita..." (Impressionen, Sprache Spanisch).


Öffentlicher Verkehr? Existiert! Nachhaltig? Das kann man eben auf verschiedene Weise sehen.

Diese Camionetta ist vermutlich 30-40 Jahre alt. Seit mehr als 20 Jahren hat sich nichts geändert. Es sind immer noch dieselben und sie sind gut im Schuss. Vor kurzem habe ich ein Modell gesehen, dass vermutlich aus den Nachkriegszeiten stammt. Der Fahrerassististen hängte wie oft in der Türe des fahrenden Gefährtes, und lächelte mich freundlich an. Das Motorengeräusch erinnerte mich daran, dass auch ich Autos durchaus lieben kann. Dieser Bus macht es vermutlich noch lange.


Eine der vielbefahrenen Strassen, die 4aCalle, mit dem Parque Japón. Pause auf dem Weg zu Terminal oder Pradera

Camionettas und Mikrobusse fahren in der ganzen Stadt. Oft sind sie voller Leute, und entsprechen nicht dem neusten Standard. Das und Covid-19 bewegt viele, das Auto oder einen Taxi zu nehmen. Die Camionettas sind oft mit dem Zielort angeschrieben (Panajachel, Mazatenango, Huehetenango oder El Trigal, oder Ruta 3 oder 9). Die Mikrobusse eher nicht. Da muss man der lauten Beschwörung des Fahrerhelfers zuhören, oder sie fragen, oder einfach deren Route kennen. Vermutlich könnte man in dieser Hinsicht noch manches an diesem "öffentlichen" Verkehr etwas verbessern. Doch zu Fuss ist vieles eh gut zu erreichen. Die Zukunft wird es weisen. Strassenbahnen wird es in den meist engen Strassen von Xela wohl nie geben.


Mit dem jungen Architekten und Sprachlehrer Joel habe ich mich hier getroffen, um die Gestaltung meines Mosaics-Logos zu besprechen, und über seine Familie, seinen Glauben und seine Pfingstgemeinde zu reden.

Bei Fragen rund um das Potential von Xela mit seinen vielen leeren und verfallen Häusern, den unbenützten Grundstücken (Geldmangel oder Erbstreitigkeiten) und hunderten von informellen Parkplätzen, leuchteten Joels Augen natürlich auf. Er hat tausend Pläne, und ich bin überzeugt, er würde eine gute Arbeit leisten. Nur eines legte ich ihm ans Herz, wie in der Landwirtschaft ist es manchmal nützlich, etwas brach liegen zu lassen.

Vielleicht werde ich mal mit Joel, oder auch mit Vivian, einen Stadtrundgang machen, der sich voll auf Architektur konzentriert. Da könnte ich viele Beispiele von wunderschöner alter Architektur und auch neuerer "moderner" Häuser zeigen, die oft trotz "modern", immer noch sehr gut in die Umgebung passen. Doch das wäre ein neuer Bericht! Und das lasse ich bis auf weiteres.


Aussichtsrestaurant Panorama, das einem Schweizer gehört. Solche Orte haben wie überall viel Anziehungskraft, auch wenn der "Schweizer Service" hier (die Kellner haben Edelweiss und Schweizerkreuz auf ihren Hemden) wohl kaum der Beste in der Stadt ist.

Ob ein Schweizer hier auf die Rechnung kommt, das weiss ich nicht. Es gibt Gschwellti, und auch Geschnetzeltes, doch das "nur" mit Pouletfleisch, denn Kalbfleisch gibt es hier nicht. Bisher habe ich noch keine Schweizer hier kennengelernt, obwohl man Schweizer Namen hier wohl finden könnte. Der prominenteste ist sicher der Expräsidenz Jacobo Arbenz (1951-54), und wohl wären auch unter den Grossgrundbesitzern Schweizer Namen zu finden (z.B. Hermann). Auch Schweizer Grossfirmen wie Holzim (Cementos Progreso) und Nestle sind hier sehr präsent. Und wenn ich Schweizer finden wollte, könnte ich mich jederzeit auch an die Schweizer Botschaft in der Hauptstadt wenden.


Neu ist das Ajitz, es hat einen schönen (Stein) Garten, einen Raum mit Billiardtisch, und wenn man für mehr als 450 Q (50 CHF) konsumiert, kann man das hoffentlich heisse Bad (hinten) - mitten im Restaurant - gratis benützen. Geschmackssache :-)


Auf dem Weg durch die 3 Calle gibt es viel zu sehen. Auch dass die Moderne in den schmalen Gassen sich nur mit Mühe ausbreiten kann.

In den Gassen von Xela finde ich tausend Bilder, sichtbare und versteckte Schönheit. Viele kleine Läden und heute auch viele kleine Bars, Gärten wie den Jardincito (eine "Bar") ganz in der Nähe. Die Stolpersteine laden dazu ein, zu verweilen, und langsam laufen. Vor 20 Jahren waren vor allem Restaurants noch kaum zu finden, heute gibt es viele, auch wenn viele davon zur Zeit geschlossen sind, oder aufgegeben haben. Seit ein paar Tagen ist leider Alkoholausschank in öffentlichen Gebäuden ab 17 Uhr verboten, was das Leben für Beizer und Kunden wieder sehr schwierig macht. In wie weit sich "Gesundheit" und "Volkswirtschaft" trennen lassen, bleibt eine heiss umstrittene Frage. Alle kämpfen um ihre Wahrheit, oder vielleicht einfach um ihre Pfründe.


Hotel Bonifaz

Auch Luxus ist in Xela an manchen Orten zu finden. Oft versteckt. Das mindestens vormals beste Haus am Platz ist das Hotel Bonifaz. Oder das renovierte Boutique-Hotel Casa Morasan (ganz in der Nähe). Restaurants wie das Tertulianos, oder das Don Carlos gehören offenbar zu den Besten. Bisher hat es mich noch nicht dahin gezogen, denn es gibt viele kleine Esslokale, die sehr gemütlich sind.


Gestern wurde ich zum Frühstück im Don Carlos eingeladen, zur Feier des 78. Geburtstags von Don Gustavo. Soziale Distanz und Sicherheit garantiert (auch dank guter Lüftung). Und Fotos von alten Mauern und Gebäuden hängen gerahmt an den Wänden.


Konzerte und Theater werden hier im Moment keine aufgeführt, (Teatro Municipal)

Natürlich gibt es auch einige kulturelle Angebote, so das Teatro Municipal, das auch Konzerte veranstaltet (Musikvideo de quetzaltekischen Komponisten Mariano Valverde, Noche de luna entre ruinas), doch das ist zur Zeit geschlossen. Kleine Livekonzerte von Cantautores oder Trubas gibt es zum Beispiel in der Peña de los Altos (auch jetzt). Museen, wie das Eisenbahnmuseum (Ferrocarril de los Altos) sind zwar historisch sehr interessant, doch der deutsche Wikieintrag konzentriert sich nur auf deutsche Aspekte, und ignoriert den nordamerikanischen Einfluss mit der "Speerspitze" United Fruit Company. Das Historische Museum ist laut Aussagen eher ein triste Sache. Das Museum für Mayatrachten und Textilien würde ich wohl eher mal besuchen, bin bisher jedoch noch nicht dazu gekommen. Auch einige private Sammlung gibt es noch, so wird auch das Café La Luna unter "Museen" angeführt, ein Lokal das sehr gemütlich ist und voller Antiquitäten.

Der Zoo in Xela zeigt laut Gerücht vor allem Kleintiere, und darunter auch Hunde, die jedoch in den Strassen von Xela in Hülle und Fülle zu sehen. Das einzige Kino im Stadtzentrum musste vor etwa 30 Jahren einem Supermarkt weichen (die "amerikanische" Dispensa Familiar), der zu Covid-Zeiten jedoch geschlossen wurde. Das Haus wird inzwischen renoviert und neu angestrichen (Violet), doch noch ist unklar, was da werden wird. Sonst gibt es den Kinokomplex im Utz Ulew, doch bisher hat mich Kino überhaupt nicht interessiert. Vielleicht werde ich mal mit Vivian einen Film wie "Capitana Marvel" anschauen gehen. Superheldinnen sind gefragt.


Früher Mal ein Kino, dann lange Jahre der einzige Supermarkt in der Altstadt, die Dispensa Familiar, noch unklar, was es da nun gibt

Vielleicht gibt es ja auch nur da viele kulturelle Angebote, wo es viel Geld gibt, und man vielen vergangenen glorreichen Zeiten gedenken kann, auch weil Kultur vielleicht einfach nicht mehr so lebendig ist, wenn man mal von der sehr viralen Kultur zwischen globalisierter Wissenschaft und Massenkommunikation ("Zoom" und "Corona") absieht. Doch wer weiss schon so genau, was Kultur denn überhaupt ist. Auch die liegt ja vermutlich im Auge des Betrachters.


Parque Simón Bolívar, mit Denkmal des südamerikanischen Freiheitskämpfer

In diesem Park sitze ich immer wieder, und vor allem am Anfang habe ich immer wieder mit Simón "gesprochen". So wie ich auch immer wieder mit Jesus spreche. Oder mit Gott, um mit ihm in ganz jüdischer Art und Weise zu streiten :-). Geschichte ist ja lebendig und immer auch Teil der Gegenwart.


Meine Lehrerin, "Guerrillera" und Koordinatorin Vivian Irene Martinez Mejia. Immer wieder "streiten" wir darüber, wer nun der Chef oder das Alpha ist.


Der Träumer denkt manchmal, diese Treppe sei eine Treppe zum Himmel. Na ja, träumen ist ja "gratis".

PS1: Dass auf den Fotos wenig Menschen zu finden sind, liegt daran, dass ich immer noch Mühe habe, den "Fotoapparat" zu zücken, wenn Menschen im Vordergrund sind. Vielleicht liegt es immer noch daran, dass ich befürchte, ihnen die Seele zu stehlen. Aber ich bin auch froh, dass ich es dann einfach lassen kann.

PS2: Der Schreiberling ist ein leidenschaftlicher Fussgänger, denn seine Füsse tragen ihn immer noch überall hin, ihm entgehen keine Details des Lebens, die "versteckten"  Schönheiten, aber auch nicht die Alpträume eines modernen Lebens, die man beim Blick durch die verdunkelten Fenster der "komfortablen" und "sicheren" Fahrzeuge oder der modernen Mobilität ja leicht ignorieren kann. Natürlich hat er seine eigene Sichtweise, die eines verwöhnten Menschen, der in einer Umgebung mit aller Sicherheit und ausreichenden Ressourcen aufgewachsen ist. Zudem scheint er sich auch dem, was wir Tod nennen, dem Unbekannten, zu nähern, aber er bleibt neugierig auf alles, "was das Leben so zu bieten hat".

Lied: "Qué precio tiene el cielo" (te doy mi vida) - Mark Anthony

Schlagwörter: Guatemala

2 Kommentare

Maggi, 2. Mai 2021

Hi Jürg I really enjoyed getting to know your new life a little more intimately and very much appreciated the photos, both old and new. Looks like a different world.... Samstagern and Hirzel are still the same old, same old so you are not missing much. Well, apart from all the people who are missing you! A big hug, Maggi

Petra, 2. Juni 2021

Hallo Jürg,

danke für die vielen Eindrücke, Gedanken und Fotos!! Die alten Mauern mit abblätternder Farbe mag ich sehr.

Für mich hast du wohl das Boutique Hotel genannt? Das schaue ich mir gleich mal an. Und ein Schweizer führt ein Restaurant mit Panorama-Blick. Schlechten Service mag ich auch nicht ... gehen wir in die gemütlichen Orte!!

Jetzt hab ich einen guten Eindruck von deiner Stadt erhalten. Merci. Ich lese wieder in diesem Blogeintrag ... P

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