Das Geheimnis von Balduin
19. April 2020, Jürg Messmer
Ich meine damit natürlich den Trockenschwimmer. An seine Geschichte kann ich mich kaum erinnern, doch an meine eigenartigen Erkenntnisse, die immer wieder mit diesem Balduin zu tun gehabt haben. Von der Vorbereitung auf das Leben. Vom Versuch, im Trockenen zu lernen, was ich für das richtige Leben benötigen würde.
Der aktuelle Anlass ist mein Gesundheitszustand, eine ewige Baustelle, wie alle wir Vulnerablen wissen. Seit Jahren habe ich mich zögerlich von der traditionellen modernen Gesundheitsindustrie entfernt, aus Angst, vor deren Nebenwirken, in jedem Sinne, aus Angst, das Leben zu verpassen, die Lebendigkeit. Andererseits die Angst, dass mein Leben nicht die genügende Länge haben könnte, dass ich etwas sehr Wichtiges nicht machen könnte, ob dieser Unterlassungssünde. Und der Frage, ob ich meine Augen denn vor den Tatsachen verschliesse, oder sie für das Mysterium des Lebens öffne. Eine diffizile Abwägungssache.
Man kommt nicht darum herum zu entscheiden, wohin man geht. Jeder Schritt, ob zögerlich oder sicher. Die Grundlagen der Entscheidung sind immer vielfältig. Meine Grundlagen sind meine Sinne, extrahierte Erfahrung, auch Bücher mit Weisheiten und Widersprüchen, Werbebotschafen, Blicke, Friedhöfe, und alle Antworten, die ich auf meinem Weg auf meine Fragen, auf meine Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen erhalte. Immer lasse ich mich beeinflussen, lehne ab oder befürworte das Empfangene. Ob ja oder nein, und wann und wo, ist nicht klar verständlich. Geheimnisvolle Schaltstellen, unersetzlich.
Immer habe ich mich gegen das Gefängnis des Objektiven gewehrt, und gleichzeitig versucht, das Subjektive zur eigentlichen Objektivität zu erhöhen. Totaler Liberalismus, ohne Handelsverträge. Eine mindestens herausforderne Angelegenheit. Don Quijote, der Ewige.
Das Eigenartige ist, dass ich immer alles sehr schnell begriffen hatte. Ja, ich war nie schwer von Begriff, auch wenn ich nie wusste, ob ich es denn wirklich begriffen hatte. Doch greifen kann ich es, das Greifbare, als wäre es ein Rettungsring. Ich angle mich von Hoffnung zu Hoffnung, meine Art der Erkenntnis, die eine bewegte bleibt.
Immer schon habe ich einen Körper gehabt - unklar wie dieser sich von Geist oder Seele unterscheidet - der viele Signale ausgesendet hat, anregende und beunruhigende. Oft bin ich den beunruhigenden bis in die Notaufnahme des nächst liegenden Spital gefolgt, oder habe den ärztlichen Notfalldienst angerufen, nur um meist zu erfahren, dass ich mir keine Sorgen machen müsse, oder zur Kontrolle vorbeikommen könne, um mich zu versichern. Nach etlichen Malen ähnlicher Erfahrungen hatte ich gewusst, dass es keine Sicherheit geben kann. Es könnte gut sein, dass ich das nächste Mal, wenn ich dann nicht gehen würde, gleich sterben könnte, ab einer zu spät erkannten tödlichen Krankheit, ab einem Tod, der hätte vermieden werden können.
Trotzdem entschied ich mich das folgende Mal, einfach eine gebotene Hand zu nehmen, um mich beruhigen zu lassen. Was für ein Wunder, deren Antwort: Angst vor dem Tod? Das ist doch das Schönste, was uns passieren kann. Ich war erstaunt ob dieser klaren und mutigen Antwort. Gleich war die Panik verschwunden, der Rettungsring dankend gepackt.
Eigentlich hatte ich es ja schon lange gewusst, denn oft genug bin ich fast erstickt aus Atemnot, und habe immer wieder einen gehbaren Weg gefunden. Einmal bin ich gar "ganz" gestorben, nachdem ich Minutenlang Kopf voran im schweren Schnee gesteckt hatte, nur noch panisch mit meinen Beinen und Gedanken hatte strampeln können und verzweifeln, nur um anzukommen in einem See von Glückseligkeit. Grad rechtzeitig. Gnade. Keine messbare und verifizierbare Erfahrung selbstverständlich.
In endlosen Therapien hatte ich versucht, mir die Werkzeuge für ein gutes, gesundes Leben zu erarbeiten, mich aus den Verstrickungen der Krankheit Mensch herauszuwinden. Doch je länger ich das machte, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich ja gleichzeitig Wirklichkeit lebe, denkend mich auf eine bessere Wirklichkeit vorbereite. Das ist ja bereits Leben. Also will ich so leben? Ja, ich erkenne die Möglichkeit dieses Weges, des Haltes, den er geben kann, und eine Lösung für viele Fragen unserer modernen, arbeitsgeteilten Wirklichkeit, in der niemand mehr als Nomade das Essen auf dem Weg findet, oder als Bauer mit eigenen Händen das Notwendigste anpflanzt und erntet, und sich der Unbill des Wetters aussetzt.
Doch ich wollte Nomade bleiben, ich wollte von der Hand in den Mund leben. Nein, ich wollte mich nicht auf eine feindliche Welt vorbereiten. Ich wollte an die Möglichkeit des Paradieses glauben. Naiv, ich weiss. Und ja, klar, mit Kreditkarte auch, von der ich gezwungenermassen denken musste, dass sie als Kompensation für mein Schicksal gleich mitgeliefert worden war. Die Gnade Gottes, das gnädige Leben. Immer rüstet es uns mit den Mitteln aus, um mit demselben umgehen zu können. Es gibt kein privilegiertes Leben, obwohl ich ja nicht in der Position bin, dies genau begründet und ehrlich von mir zu weisen. Es gibt keine messbaren, gerecht verteilten Mittel, sondern nur lean production, Mass gefertigt, just-in-time für einen Jeden. Ja, das lässt sich nicht beweisen, nur widerlegen mit messbaren Argumenten, die gefühlte Gründe gleich in die ewigen Jagdgründe schicken können. Mit Leichtigkeit. Ja mit Messbarem kann man das Unermessliche leicht erschlagen, nur trifft man es nicht, weil es ja nicht zu fassen ist.
Damit will ich nicht sagen, dass wir erkanntes Unrecht nicht richtig stellen, beklagtes Leid nicht mindern sollten. Nur zu. Wir müssen uns vertrauen.
Ich bin ein Träumer, und habe mein Haus in den Wolken gebaut. Springe von Wolke zu Wolke, und falle, doch immer falle ich auf weichen Grund. Nein, auch auf harte Gründe, offensichtlich, doch gleich auch wieder in zarte Hände.
Ich weiss nicht, ob ich richtig lebe, ob ich, weil ich nichts denn so wirklich genau und richtig lernen möchte, das Leben gleich auch verpasse, vielleicht sogar frühzeitig sterbe. Vielleicht bin ich ja nur, wie Balduin der Trockenschwimmer, mich am vorbereiten - auf das nächste, das richtige Leben.
Doch das werde ich erfahren, erfahre ich. Rechtzeitig.
PS: Isabelle Foster besingt “Insecurities”
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Noldi, 19. April 2020
Dieser Text gefällt mir sehr und schön auch der tolle passende Song dazu! Danke💖